Christian Stupka: „Mein Wunsch: ein immerwährendes Erbbaurecht für Genossenschaften“

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Wohnungsbaugenossenschaften treten für die Schaffung von sicherem und bezahlbarem Wohnraum ein, denn sozialverträgliches Wohnen in Ballungsräumen wird immer schwieriger. Für bezahlbaren Wohnraum ist bezahlbarer Grund und Boden unabdingbar. Leider ist der Erbbauzins oft an die Entwicklung des Bodenrichtwerts gekoppelt und steigt stetig an – auch für die Wohnungsbaugenossenschaften, obwohl sie nicht renditeorientiert, sondern rein kostendeckend wirtschaften. GIMA München eG-Vorstand Christian Stupka berichtet von der Lage in München.

ErbbauZ: Herr Stupka, neulich las ich, dass die Landeshauptstadt München beim Thema Genossenschaften anderen Städten einiges voraus hat. Inwiefern denn das?

Stupka: Mittlerweile vergibt die Landeshauptstadt München 40 % aller Flächen zum Wohnungsbau, die noch im Eigentum der Stadt sind, an Genossenschaften. Das hat den Hintergrund, dass die Stadt ihre Grundstücke früher gegen Höchstgebot verkauft hat – zumeist an Bauträger und städtische Gesellschaften. Dann gab es ein Umdenken in Richtung Konzeptvergaben zum Festpreis, wo im nächsten Schritt die Genossenschaften ins Spiel kamen. Denn mittlerweile haben sich die Genossenschaften formiert. Traditionsgenossenschaften und neu gegründete Genossenschaften sind so in der Lage, jährlich hunderte Wohnungen zu errichten. Der jüngste Stand ist, dass die Landeshauptstadt München 100 % ihrer Flächen für den Mietwohnungsbau vergibt, weil die sonstige Quote bei Neubauwohnungen in München bei Mietwohnungen sehr niedrig ist – ca. 60-70 % sind Eigentumswohnungen und hier steuert die Stadt jetzt dagegen.

ErbbauZ: Was macht Genossenschaftswohnungen denn so attraktiv aus Sicht der Landeshauptstadt München?

Stupka: Die Stadt bekommt dauerhaft bezahlbaren Wohnraum für eine breite Bevölkerungsschicht. Es gibt in München 40.000 Genossenschaftswohnungen mit einer durchschnittlichen Nettokaltmiete von etwa 7 Euro pro Quadratmeter im Bestand– das ist etwa 50 % dessen, was man auf dem freien Wohnungsmarkt zahlt. Ganz zu schweigen von Neubaumieten, die schon bei 20 Euro pro Quadratmeter liegen können. Genossenschaftswohnungen sind also eine solide Ergänzung zu den städtischen Wohnungsgesellschaften, die ja im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge Wohnungen erreichten und ungefähr 70.000 Wohnungen in München bewirtschaften.

ErbbauZ: Sorgen Genossenschaften denn auch für Innovation in der Stadt?’

Dazu kommt, dass die Genossenschaften in München über das Wohnen hinaus in Neubauquartieren nachbarschaftlich wirken, das heißt auch Räume herstellen und Angebote schaffen, die weit über das Wohnen hinausgehen. Es wird auch eine kleinteilige Gewerbestruktur geboten, Gemeinschaftsräume, diverse Kombinationen aus Wohnen und Arbeiten – Stichwort Homeoffice – und dazu sehr innovative Mobilitätskonzepte für die Bewohner.

ErbbauZ: Lassen Sie uns jetzt aber mal zum Erbbaurecht schauen – wie sind hier denn die jüngsten Entwicklungen in München?

Stupka: Es gibt aktuell eine radikale Kehrtwende: Anfang 2020 wurde entschieden, dass städtische Grundstücke nur noch im Erbbaurecht vergeben werden – früher hat die Stadt viele Grundstücke zugunsten des städtischen Haushalts verkauft. Dies trifft nun natürlich auch die Genossenschaften, die bis dahin das Wahlrecht hatten, ob sie Baugrundstücke kaufen oder im Erbbaurecht nehmen. Meist hat man sich für den Kauf entschieden.

ErbbauZ: Wie bewerten Sie diese neue Vergabepraxis der Landeshauptstadt?

Stupka: Ich sehe die Entwicklung eher kritisch. Die Genossenschaften sind derart verlässliche Partner der Stadt, sodass wir das Erbbaurecht eher hinderlich wahrnehmen. Wir planen ohnehin langfristig auch im Sinne der Stadt München und damit brauchen wir das Erbbaurecht doch nicht. Hinzu kommt, dass die Genossenschaften leidvolle Erfahrungen beim Auslaufen der Erbbaurechtsverträge gemacht haben, was Grundstücke von ehemaligen Staatsbetrieben wie der Post und der Bahn angeht. Bei den jetzt ausgelaufenen Verträgen wurde der jetzt exorbitant hohe Verkehrswert der Grundstücke bei der Neubewertung des Erbbaurechts angesetzt und das führt letztendlich zu Mieterhöhungen zwischen 7 und 10 Euro pro Quadratmeter. Somit stehen gerade Traditionsgenossenschaften dem Erbbaurecht äußerst skeptisch gegenüber.

ErbbauZ: Was wäre nötig, um dieser Skepsis entgegenzutreten? Welche Veränderung wünschen sich Genossenschaften in Bezug auf das Erbbaurecht

Stupka: Wir akzeptieren natürlich die Linie der Stadt, aber die Erbbaurechtsverträge müssen partnerschaftlich werden. Derzeit sind sie das leider nicht. Es gibt zahlreiche Auflagen und Heimfallregelungen, die von einer Misstrauenskultur geprägt sind. Es gibt Beleihungshemmnisse, die die Genossenschaften bei den Banken schlechterstellen als wenn auf eigenen Grundstücken gebaut wird. Ein weiterer Aspekt ist die Bemessung des Erbbauzinssatzes. Mittlerweile wird dieser an den Liegenschaftszinssatz angepasst, aktuell sind das 1,75 %. Allerdings können Genossenschaften gegenwärtig 15- oder 20-jährige Darlehn auch unterhalb dieses Zinssatzes finanzieren, sodass man trotz der Schlechterstellung gegenüber Volleigentum eine höhere finanzielle Belastung durch den Erbbauzinssatz trägt.

ErbbauZ: Gibt es für Genossenschaften gar keine positiven Aspekte?

Stupka: Doch, durchaus. Die Genossenschaften können wählen zwischen laufendem Erbbauzinssatz und kapitalisiertem Erbbauzinssatz für die gesamte Laufzeit von 80 Jahren. Letzterer ist von Vorteil – im Vergleich liegt man bei etwa 70-75 % des Kaufpreises. Diesen Weg schlagen die meisten Genossenschaften dann auch ein.

ErbbauZ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Stupka: Aus bodenpolitischen Gründen bin ich eigentlich ein Verfechter des Erbbaurechtes. Für das langfristig gedeihliche Zusammenwirken von Stadt und Genossenschaften wünschen wir uns ein immerwährendes Erbbaurecht. Das bedeutet, den Genossenschaften wird ein unbegrenztes Erbbaurecht eingeräumt, das frühestens nach Ablauf von 80-99 Jahren gekündigt werden kann, sofern die Stadt ein berechtigtes Interesse nachweist, das Grundstück zukünftig anderweitig nutzen zu wollen. Wer weiß schon, was in 100 Jahren in München los sein wird?

ErbbauZ: Vielen Dank für die interessanten Einblicke!

Christian Stupka war Gründungsmitglied der Wohnungsbaugenossenschaft WOGENO. Diese hat seit ihrer Gründung 1993 über 800 Wohnungen erworben oder neu gebaut. Zudem ist Stupka Vorstand der Genossenschaftlichen Immobilienagentur München (GIMA). Er engagiert sich zudem für die Mitbauzentrale München – eine zentrale Anlaufstelle für alle, die ein gemeinschaftsorientiertes Wohnprojekt gründen oder sich einer Initiative anschließen möchten. In Anerkennung seiner besonderen Verdienste um den Erhalt und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum hat Bürgermeisterin Christine Strobl Christian Stupka im Jahr 2016 mit der Medaille „München leuchtet – Den Freundinnen und Freunden Münchens“ in Silber ausgezeichnet.

GIMA München eG: 34 sozial orientierte Wohnungsunternehmen

Die GIMA München eG (Genossenschaftliche Immobilienagentur München eG) ist ein Zusammenschluss von derzeit 35 Wohnungsunternehmen in München. Die Mitgliedsunternehmen sind Genossenschaften oder haben ihre Wurzeln in der Gemeinnützigkeit.

Die GIMA startete im Jahr 2005 als Modellprojekt des Städtebauministeriums im Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt). 2007 etablierte sie sich als wirtschaftlich eigenständige Dienstleistungsgenossenschaft für ihre Mitglieder.

Erschienen in: ErbbauZ 2021/3

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