Nach zögerndem Beginn erlebte das Erbbaurecht nach dem Ersten Weltkrieg, befördert durch die Bodenreformbewegung und in Reaktion auf die verbreitete Wohnungsnot, einen politischen Durchbruch. Seitdem gehört es, mit größeren und kleineren Schwankungen, zu einem wichtigen Instrument der deutschen Immobilienpolitik. Dr. Guido Toussaint nimmt die hundertzwanzigjährige Geschichte des Rechtsinstituts in den Blick und betont der Bedeutung der ökonomischen Interessenlagen für die Akzeptanz und Zukunft des Erbbaurechts.
ErbbauZ: Das Ansinnen, Herr Dr. Toussaint, Vorschriften über ein Erbbaurecht in ein neues einheitliches Zivilgesetzbuch aufzunehmen, stieß in der ersten BGB-Kommission zunächst auf Ablehnung. Wie kam es, dass das Erbbaurecht dennoch ins BGB aufgenommen wurde?
Dr. Toussaint: Die später „erste“ genannte, 1874 einberufene Kommission für die Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches stand dem Erbbaurecht in der Tat distanziert gegenüber. Einerseits befürchtete sie eine Schwächung des Eigentums durch vererbliche und veräußerliche Benutzungsrechte, andererseits wollte sie mit ihrem liberalen Grundverständnis unvereinbare „ungesunde Zustände nach englischer Art“ (so die Formulierung einer zeitgenössischen Kritik von Bingner) verhindern. Eine größere wirtschaftliche Bedeutung des Erbbaurechts hielt sie für ausgeschlossen, und es fand nur eine sehr knappe Regelung Eingang in das BGB (§§ 1012 bis 1017 BGB aF).
ErbbauZ: Hatte die Kommission den Begriff „Erbbaurecht“ aus dem älteren deutschen Privatrecht übernommen?
Dr. Toussaint: Nein. Der Begriff „Erbbaurecht“ war eine Erfindung der ersten Kommission. Sie knüpfte bei der Ausgestaltung des Erbbaurechts an das gemeinrechtliche Superfiziarrecht und an partikularrechtliche Erscheinungen an, wie sie etwa in Süddeutschland und in den Gebieten des sog. rheinischen Rechts als Stockwerkseigentum und Kellerrechte bekannt waren. Da die Kommission bemüht war, die in der Pandektistik üblichen, aus dem Lateinischen und in Einzelfällen auch aus dem Griechischen abgeleiteten Termini zu vermeiden und durch deutsche Formulierungen zu ersetzen, benötigte sie einen neuen Begriff für das sonst als Superfiziarrecht oder auch als Emphytheuse – der letztgenannte Begriff ist auch heute noch im romanischen Rechtskreis weitverbreitet – bezeichnete Institut. Angeknüpft hat man an das „Baurecht“ – so wird noch heute das Erbbaurecht in Österreich bezeichnet – des sächsischen BGB (§ 661) und durch den Zusatz „Erb-“ die Vererblichkeit (und überhaupt die Übertragbarkeit) als Kennzeichen eines dinglichen Rechts betont.
ErbbauZ: Bestimmte Kreise verbanden von Anfang an große Hoffnungen mit dem Erbbaurecht, etwa die Bodenreformbewegung. Hatte dies Auswirkungen auf die Praxis?
Dr. Toussaint: Die neuen Regelungen über das Erbbaurecht fanden tatsächlich zunächst weniger bei Juristen Beachtung als bei Wohnungs- und Sozialpolitikern, die im Erbbaurecht die mögliche Lösung der Arbeiterwohnungsfrage bei gleichzeitiger „Sozialisierung“ des Bodens zu finden glaubten. Das Erbbaurecht wurde so zu einem zentralen Element der sog. Bodenreformbewegung. Die hierdurch angestoßene Diskussion machte allerdings deutlich, dass die – rudimentären – BGB-Regelungen des Erbbaurechts sich für solch weitgehende Ziele eigentlich nicht eigneten. Sie machten eine Beleihung des Erbbaurechts in der Praxis weitgehend unmöglich und schränkten seine Verkehrsfähigkeit erheblich ein, insbesondere weil eine (jetzt durch § 1 Abs. 4 S. 1 ErbbauRG ausgeschlossene) auflösend bedingte Rechtsbestellung für möglich gehalten wurde, weil die Eigentumsverhältnisse hinsichtlich des Bauwerks nur lückenhaft und unklar geregelt waren und weil eine Regelung der Rechtsverhältnisse bei Beendigung des Erbbaurechts fehlte. Die wohnungs- bzw. sozialpolitische Diskussion führte aber 1912 zu einer umfassenden Kodifikation des Erbbaurechts in Österreich, zu Vorschlägen von wissenschaftlicher Seite für eine Neuregelung des Erbbaurechts auch in Deutschland und zum Beschluss des 1912 in Wien stattfindenden 31. Deutschen Juristentags, dass die BGB-Vorschriften zum Erbbaurecht zu ergänzen seien.
ErbbauZ: Dann kam der Weltkrieg und in seiner Folge gewannen bestimmte sozialpolitische Anliegen eine größere Durchschlagskraft. Aber könnten Sie zunächst beschreiben, wie der gesetzgeberische Reformprozess weiterging?
Dr. Toussaint: Im Mai 1918, also noch während des Weltkriegs, wurde ein im Reichswirtschaftsamt, dem erst seit 1917 bestehenden Vorläufer des späteren Reichswirtschaftsministeriums, ausgearbeiteter „Entwurf eines Reichsgesetzes über das Erbbaurecht“ veröffentlicht. Mit der Revolution war allerdings der Reichstag, dessen letzte Sitzung am 26. Oktober 1918 stattfand, als Gesetzgebungsorgan abhandengekommen. Deshalb wurde der Gesetzesentwurf mit nur unwesentlichen Änderungen am 15. Januar 1919 vom „Rat der Volksbeauftragten“, der provisorischen Reichsregierung, kurzerhand als Verordnung erlassen. Das Fehlen einer Ermächtigungsgrundlage wurde später von der in Weimar tagenden Deutschen Nationalversammlung durch das sog. Übergangsgesetz geheilt – jedenfalls dann, wenn man annimmt, dass die ErbbauVO in die in diesem Gesetz vorgesehene, aber von mir bislang nicht aufgefundene und vielleicht auch nie verfasste Anlage aufgenommen worden ist.
ErbbauZ: Kann man sagen, dass nach 1919 die deutsche Politik das Erbbaurecht ganz vorrangig als ein Instrument der Sozialpolitik verstand?
Dr. Toussaint: In einer Denkschrift über die seit dem 9. Januar 1918 auf dem Gebiete der Sozialpolitik getroffenen gesetzgeberischen und sonstigen Maßnahmen, die die Reichsregierung im März 1919 der Nationalversammlung vorlegte, spielte die neue ErbbauVO eine wichtige Rolle. Nach Kriegsende dienten Erbbaurechtsbestellungen entsprechend der sozialpolitischen Ausrichtung der „revolutionären“ ErbbauVO nahezu ausschließlich für Wohnzwecke einkommensschwacher Bevölkerungsschichten. Von besonderer Bedeutung hierfür war eine weitere wohnungs- und sozialpolitische Maßnahme, nämlich das Reichsheimstättengesetz. Die Schaffung von Wohn- oder Wirtschaftsheimstätten, die an bestimmte bodenpolitische Zwecke gebunden waren und vor dem Zugriff von Gläubigern wegen persönlicher Verbindlichkeiten des Heimstätters geschützt sein sollten, wurde bereits während des Weltkriegs diskutiert. Zur Verabschiedung des Reichsheimstättengesetzes durch die Nationalversammlung kam es aber erst 1920. Die danach mögliche Bestimmung auch eines Erbbaurechts als Heimstätte und damit die Bestellung einer sog. „Erbbauheimstätte“ dürfte in der Folge die Begründung neuer Erbbaurechtsverhältnisse dominiert haben.
ErbbauZ: Das Reichsheimstättengesetz ist ja erst 1993 aufgehoben worden. Hat also der Impuls, der in den 1920er Jahren das Erbbaurecht befördert hatte, über den Zweiten Weltkrieg hinaus fortgewirkt?
Dr. Toussaint: Eher war es so, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die sozialpolitische Bedeutung des Erbbaurechts für Wohnzwecke und auch der Heimstätte allmählich abnahm. Dies ergab sich aus den sich wandelnden Verhältnissen. Ausgangspunkt war der Zugang zu allgemeinen Immobilienfinanzierungen, der nun breiteren Bevölkerungsschichten offenstand. Die Finanzierung eines Grundstückserwerbs erweist sich im Vergleich zum Erwerb eines Erbbaurechts regelmäßig als wirtschaftlich günstiger, weil die Verzinsung eines Annuitätendarlehens mit fortschreitender Tilgung sinkt und schließlich endet. Demgegenüber ist der Erbbauzins über die gesamte Laufzeit des Erbbaurechts in gleicher Höhe bzw. bei bestehenden Anpassungsmöglichkeiten gar in steigender Höhe zu zahlen. Jedenfalls für den privaten Grundstücksnutzer ist ein Erbbaurecht daher heute in der Regel wirtschaftlich unattraktiv. Dies dürfte, konkretes Zahlenmaterial liegt mir hierzu nicht vor, dazu geführt führt haben, dass Heimstätten-Erbbaurechte nur noch bis in die siebziger Jahre mit sinkender Tendenz bestellt und im Übrigen auslaufende Heimstätten-Erbbaurechte – deren Laufzeiten regelmäßig wohl überschaubar waren – verlängert worden sind, während neue Erbbaurechte für Wohnzwecke außerhalb des Heimstättenrechts nur in geringer Zahl bestellt worden sein dürften.
ErbbauZ: Aber wie ist es dann zu erklären, dass das Erbbaurecht seit den neunziger Jahren wieder an Bedeutung gewonnen hat?
Dr. Toussaint: Ausschlaggebend waren hierfür meines Erachtens zwei ganz unterschiedliche Faktoren. Im Bereich der Wohnnutzung kamen neue Erbbaurechte aus der Sachenrechtsbereinigung hinzu und im Bereich gewerblicher Grundstücksnutzungen stieg die Nachfrage nach Erbbaurechten zu Lasten von Grundstückserwerben. Zum einen war es so, dass die Sachenrechtsbereinigung zu neuen Erbbaurechten führte, weil das Sachenrechtsbereinigungsgesetz für die Bereinigung besonderer DDR-Nut- zungsverhältnisse an fremden Grundstücken außer dem Ankauf des Grundstücks durch den Nutzer auch die Bestellung eines Erbbaurechts vorsieht. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass den Fällen, in denen vom Nutzer – oder wegen Untätigkeit des Nutzers vom Grundstückseigentümer – eine Erbbaurechtsbestellung statt eines Grundstückskaufs (oder ggf. für Restflächen auch neben einem Grundstückskauf) gewählt worden ist, vielfach problematische Verhältnisse zugrunde lagen, die nicht selten anschließend zu notleidenden Erbbaurechten führten. Zum anderen stieg die Nachfrage nach Erbbaurechten aus dem gewerblichen Bereich zu Beginn der neunziger Jahre stark an, getrieben vor allem durch den Anstieg der Grundstückspreise. Dieser gewerblichen Nachfrage lag und liegen wirtschaftliche Erwägungen des Grundstücksnutzers zugrunde, der eine Kapitalbindung durch einen Grundstückserwerb scheut (oder auch nicht leisten kann) und zudem in der vollständigen steuerlichen Absetzbarkeit von Erbbauzinsen – im Vergleich zum Ausschluss einer Abschreibung von Grundstücken – einen finanziellen Vorteil sieht.
ErbbauZ: Wie sieht Ihres Erachtens die Zukunft des deutschen Erbbaurechts aus?
Dr. Toussaint: Die bisherigen Erfahrungen mit Erbbaurechten und die hier skizzierte Entwicklung der Erbbaurechtspraxis zeigen, dass für die Einschätzung der Bedeutung des Erbbaurechts in Gegenwart und Zukunft zwischen der Nutzung zu privaten Wohnzwecken und einer gewerblichen Nutzung zu differenzieren ist. Im Bereich der privaten Wohnnutzung ist das Erbbaurecht anstelle eines Grundstückserwerbs für den Nutzer – jedenfalls unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – unattraktiv, weil er regelmäßig für eine nur befristete Grundstücksnutzung mehr aufwenden muss als für die Finanzierung eines endgültigen Grundstückserwerbs. Für den Grundstückseigentümer dagegen bietet das Erbbaurecht dann eine interessante Option, wenn er vorhandene Grundstücke, wie im Falle von Kirchen, aus Rechtsgründen nicht ohne weiteres veräußern kann oder, wie im Falle von Gebietskörperschaften, aus politischen oder sonstigen Gründen nicht veräußern will. Die Bestellung von Erbbaurechten ermöglicht dem Grundstückseigentümer dann, Grundstücke ohne Eigentumsverlust einer Nutzung zuzuführen und Erträge zu generieren. Die Initiative zur Erbbaurechtsbestellung kommt daher im Bereich der privaten Wohnnutzer in erster Linie von der „Anbieterseite“, die „Nachfrager“ werden sich regelmäßig nur mangels anderer Möglichkeiten darauf einlassen.Anders sieht es im Bereich der gewerblichen Nutzung aus. Hier überwiegen regelmäßig die wirtschaftlichen Vorteile des Nutzers. Gebietskörperschaften als Grundstückseigentümer werden in Hinblick auf den nicht zu vernachlässigenden Verwaltungsaufwand, den Erbbaurechtsverträge auf Dauer mit sich bringen, Erbbaurechtsbestellungen vorwiegend zur Belebung anderenfalls nicht nutzbarer Gewerbebrachen oder auch als Wirtschaftsförderungsmaßnahme vornehmen. Hier dürfte daher die Initiative überwiegend von der Nachfrageseite ausgehen. Bei der Zahl der Bestellung gewerblicher Erbbaurechte ist – bedingt durch die genannten Faktoren – ein Auf und Ab zu beobachten. Maßgeblich sind jeweils die Entwicklung der Grundstückspreise und der Darlehenszinsen sowie der aktuelle Stand der – schwankenden – Bodenpolitik der Gebietskörperschaft, die als Ausgeber in Betracht kommt.
ErbbauZ: Und welches Zwischenfazit nach gut hundertzwanzigjähriger deutscher Erbbaurechtsgeschichte würden Sie abschließend ziehen?
Dr. Toussaint: Beide Situationen, die ich geschildert habe, dürften jedenfalls dann, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht grundlegend ändern, perspektivisch in den nächsten Jahren unverändert bleiben. Mit den bodenreformatorischen Zielen der Revolutionsregierung von 1919 haben sie wenig zu tun. Allerdings haben sich seither die Lebensumstände und die existentiellen Probleme der Gesellschaft deutlich geändert. Aber auch unter Berücksichtigung der bei der Grundstücksnutzung heute im Vordergrund stehenden Ziele wie insbesondere des schonenden Umgangs mit Ressourcen, zu denen auch der Boden zu rechnen ist, bin ich skeptisch, dass allein mit dem Rechtsinstitut des Erbbaurechts ein Aufbruch in „goldene Zeiten“ möglich ist.
ErbbauZ: Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch!
Dr. Guido Toussaint wurde 1962 in Duisburg geboren. Nach dem Abitur in São Paulo begann er seine berufliche Laufbahn 1982 mit einer Banklehre im Rheinland. Danach folgten ab 1984 in Berlin ein Studium der Rechtswissenschaften, das Referendariat und eine Assistententätigkeit an der Freien Universität Berlin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Detlef Leenen. 1992 promovierte er an der Freien Universität Berlin bei Prof. Dr. Jürgen Prölss über das Thema Naturalrestitution und Geldentschädigung. Zwischen 1991 und 1993 war Dr. Toussaint bei der Treuhandanstalt überwiegend mit sachenrechtlichen Themen beschäftigt, danach arbeitete er als Rechtsanwalt und seit 2001 auch als Notar in Berlin. Im Jahre 2007 wurde er als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zugelassen. Zum materiellen Zivilrecht, zum Zivilprozessrecht und zum Kostenrecht hat er umfangreich veröffentlicht und ua das ErbbauRG im BeckOGK kommentiert.
Erschienen in: ErbbauZ 2023/1