Dr. Tim Lassen weist darauf hin, dass der Verband deutscher Pfandbriefbanken die Finanzierung von Erbbaurechten erleichtern möchte und sich deshalb gemeinsam mit seinen Mitgliedern intensiver mit der Beleihung von Erbbaurechten zum Zwecke der Pfandbriefrefinanzierung befasst. Dabei helfe auch der Blick über die Landesgrenzen in andere europäische Rechtsordnungen.
ErbbauZ: Herr Dr. Lassen, möchten Sie unseren Lesern zunächst sagen, was ein Pfandbrief ist?
Dr. Lassen: Pfandbriefe sind gedeckte, verzinsliche Schuldverschreibungen, die von Kreditinstituten auf Grundlage des Pfandbriefgesetzes (PfandBG) emittiert und am Kapitalmarkt platziert werden. Voraussetzung ist eine Erlaubnis zur Ausübung des Pfandbriefgeschäfts (Pfandbriefbanken).
Der Pfandbrief dient Kreditinstituten zur Refinanzierung bestimmter – durch Grundpfandrechte, Schiffs- oder Flugzeughypotheken besicherter – Kredite sowie zur Refinanzierung von Forderungen gegen staatliche Stellen. Je nach Art der Besicherung werden sie als Hypothekenpfandbriefe, Schiffspfandbriefe, Flugzeugpfandbriefe sowie Öffentliche Pfandbriefe bezeichnet.
Kernelement ist, dass im Falle der Insolvenz der emittierenden Bank die aus diesen gesicherten Forderungen bestehende Deckungsmasse ausschließlich den Pfandbriefgläubigern zur vertragsgemäßen Rückzahlung der Pfandbriefe zur Verfügung steht.
Der Pfandbrief als klassisches Refinanzierungsinstrument der Pfandbriefbanken ist eines der größten Segmente des europäischen Anleihemarktes. Neben seiner hohen Sicherheit, Standardisierung und Transparenz hat vor allem die makellose Kredithistorie des Pfandbriefs seit Beginn des letzten Jahrhunderts seinen Ruf bei Investoren und am Finanzplatz Deutschland nachhaltig geprägt.
Besonders in Krisenzeiten hat er seine Zuverlässigkeit als Refinanzierungsinstrument mehrfach unter Beweis gestellt und ist zum etablierten Instrument im Refinanzierungsmix von Banken avanciert. Dies hat andere Länder bewogen, ähnliche – dem Prinzip der gedeckten Schuldverschreibung folgende – Produkte zu etablieren. Im Jahre 2019 wurde dann von der EU die sogenannte Covered Bond Richtlinie als Rahmen für die nationalen Gesetze verabschiedet.
Im europäischen Covered Bond Universum gilt der Pfandbrief aufgrund seiner Qualitätsmerkmale unverändert als Benchmark. Der Deutsche Pfandbrief – der über 250 Jahre alt ist – genießt ein hohes Investorenvertrauen, ablesbar nicht zuletzt an seiner stabilen Entwicklung im Zuge der Finanzkrise 2008.
Erbbaurechte liegen also möglicherweise jenseits Ihres Tätigkeitsschwerpunkts?
Nein, wir beschäftigen uns auch mit Erbbaurechten, denn deren Bedeutung nimmt momentan wieder zu. So hat die Freie und Hansestadt Hamburg 2023 in ihre Landesverfassung aufgenommen, dass zur Gewährleistung der Wohnraumversorgung das städtische Eigentum an Grundstücken, die für den Wohnungsbau bestimmt sind, grundsätzlich nicht an Dritte übertragen werden soll. Ähnliche Bestrebungen gibt es auch in anderen Städten. Hier ist das Erbbaurecht ein Element, um die Wohnraumbebauung der Grundstücke zu ermöglichen.
Ebenso kann das Erbbaurecht eine Möglichkeit sein, Windparks – die regelmäßig auf Grundstücken errichtet werden, die nicht dem Betreiber gehören – für die Pfandbriefrefinanzierung zu befähigen. Andere Länder wie Kroatien oder Ungarn haben ihre Erbbaurechte reformiert oder wieder eingeführt, u. a. zu Förderung der Errichtung von Anlagen für erneuerbare Energien (EEA).
Der vom vdp initiierte Runde Tisch Grundpfandrechte (RTG), in dem Experten aus über 30 europäischen und außereuropäischen Ländern die Nutzung und Funktionsweise von Grundpfandrechten untersuchen, hat sich auch ausführlich mit Erbbaurechten – hier „Baurechte“ genannt – und der Absicherung an EEA beschäftigt. Die Ergebnisse der Arbeiten des RTG sind in einer Datenbank öffentlich zugänglich (www.vdpgrundpfandrechte.de).
Worin bestehen, ganz allgemein, die Herausforderungen für Kreditinstitute bei der Finanzierung von Erbbaugrundstücken?
Der Pfandbrief ist ein langfristiges Finanzprodukt und Refinanzierungsinstrument. Das Pfandbriefgesetz stellt hohe Anforderungen an die Deckungswerte des Hypothekenpfandbriefs. Diese Anforderungen müssen auch bei der Finanzierung von Investitionen in Erbbaurechte berücksichtigt werden. Im Unterschied zum Grundstückseigentum ist das Erbbraurecht in der Regel zeitlich begrenzt. Dennoch muss eine ausreichende Absicherung für die gesamte Laufzeit der Finanzierung sichergestellt sein.
Eine weitere Besonderheit des Erbbaurechts gegenüber dem Grundstückseigentum besteht darin, dass neben dem Erbbauberechtigten eine zusätzliche Person, nämlich der Grundstückseigentümer, Einfluss auf das Erbbaurecht nehmen kann. Daraus ergeben sich für die finanzierende Pfandbriefbank zusätzliche Risiken hinsichtlich der grundpfandrechtlichen Absicherung. Daher müssen Pfandbriefbanken die Erbbaurechtsverträge genau prüfen. Auch bei Ermittlung des Beleihungswertes von Erbbaurechtsgrundstücken sind Besonderheiten zu beachten und spezielle Abschläge vorzunehmen. Dies ist das sog. Münchener Verfahren bei der Bewertung.
Diese besonderen Herausforderungen führen dazu, dass Erbbaurechte in Einzelfällen nicht oder nur zu besonderen Konditionen finanziert werden können.
Damit sprechen Sie eine Frage an, die viele Erwerber betrifft. Ein erster Schritt zur Lösung des Problems könnte darin bestehen, dass allgemeine Mindeststandards für die Beleihung von Erbbaurechten definiert werden. Wäre das sinnvoll?
Wir sehen, dass sich Pfandbriefbanken in bestimmten Konstellationen schwertun, Erbbaurechte zu finanzieren. Das liegt, wie bereits erläutert, hauptsächlich daran, dass sowohl in rechtlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht, Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Ohne spezielle Fachkenntnisse ist die Beurteilung der Pfandbrieffähigkeit eines Erbbaurechts nicht möglich. Hier wollen wir ansetzen und die Funktionsweise und Beleihbarkeit von Grundpfandrechten an Erbbaurechten in der Praxis untersuchen. Ziel ist es, dieIndeckungnahme zur Absicherung von Pfandbriefen für Pfandbriefbanken zu erleichtern. Dies kann zur besseren Marktgängigkeit und damit Akzeptanz von Erbbaurechten beitragen.
Kann vielleicht auch die Bankenaufsicht etwas zur Förderung des Erbbaurechts beitragen?
Wir sehen die Hauptverantwortung, die Finanzierung von Erbbaurechten zu fördern, in erster Linie bei den drei Vertragsparteien:
• Erbbauberechtigter,
• Grundstückseigentümer und
• finanzierendes Kreditinstitut.
Die Aufsicht spielt aus unserer Sicht in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle. Es wird immer wieder vorgeschlagen, die Mindestabschläge bei der Bewertung von Erbbaurechten nach dem Münchener Verfahren flexibler auszugestalten. Die wesentlichen Herausforderungen bei der Finanzierung werden aber auch damit nicht gelöst. Letztlich haben es die drei Hauptbeteiligten in der Hand, die richtigen vertraglichen Rahmenbedingungen für eine optimale Finanzierung zu setzen. Genau hier sehen wir unsere Verantwortung, zusammen mit allen Beteiligten konstruktive Lösungen zu erarbeiten.
Könnten Sie den Gedanken, dass eine optimale Finanzierung von den Vertragsparteien abhängt, noch etwas ausführen? Worauf sollten die Vertragsparteien achten?
Dazu gebe ich Ihnen gern einige Beispiele. Die Vertragsparteien können die Laufzeiten von Erbbaurechten so gestalten, dass sie nicht in Widerspruch zur Restnutzungsdauer des Gebäudes bzw. der Kreditlaufzeiten stehen.Auch die Höhe und Ausgestaltung des Erbbauzinses hat entscheidende Auswirkung auf die Bewertung von Erbbaurechten. Das betrifft u.a. die Versteigerungsfestigkeit des Erbbauzinses und den (damit optimalerweise verbundenen) Rangvorbehalt für das Grundpfandrecht der finanzierenden Bank gegenüber der Erbbauzinsreallast. Übermäßige Zustimmungsbedürfnisse seitens des Grundstückseigentümers können ebenfalls den Wert des Erbbaurechts schmälern.
Anscheinend ist es so, dass einige vdp-Mitgliedsinstitute eine Finanzierung von Erbbaurechtsgrundstücken generell ablehnen? Kann das sein?
Diese Information kann ich weder dementieren noch bestätigen. Wir kennen nicht die Geschäftspolitik aller vdp-Mitgliedsinstitute. Wir wollen dazu beitragen, die Kenntnisse über die Nutzbarkeit des Erbbaurechts zu vertiefen. Als Auftakt haben wir für unsere Mitglieder Anfang Dezember 2024 ein Seminar zu den Grundlagen des Erbbaurechts durchgeführt, das sehr gut angenommen wurde. Weitere Angebote und Aktivitäten sollen folgen.
Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Dr. Lassen!
Dr. Tim Lassen ist seit dem 1. Juni 2024 Mitglied der Geschäftsleitung des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp) und zuständig für den Bereich Deckungswerte. Schon von 1998 bis 2005 war der Jurist im Anschluss an sein Studium an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel für den Verband deutscher Hypothekenbanken (VDH, Bonn/ Berlin, seit 2005 vdp) tätig. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zum Recht der Immobilienfinanzierung und Covered Bonds in Europa und gehört den vom vdp initiierten Denkfabriken „Round Table Covered Bond Legislation“ und „Runder Tisch Grundpfandrechte“ langjährig an.
Der Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) ist einer der fünf Spitzenverbände der Deutschen Kreditwirtschaft. Er repräsentiert die bedeutendsten Kapitalgeber für den Wohnungs- und Gewerbebau sowie den Staat und seine Institutionen. Der vdp vertritt die pfandbriefspezifischen Interessen seiner Mitgliedsinstitute gegenüber Gesetzgeber, Aufsicht, Ratingagenturen und sonstigen Marktteilnehmern. Er erfüllt diese Funktion auf allen Ebenen der Politik sowie ihrer ausführenden Organe – national und international. Sein Leistungsspektrum stellt er Pfandbriefemittenten aus allen drei Säulen der Kreditwirtschaft zur Verfügung und sichert so eine effiziente Interessenvertretung in allen Belangen des Pfandbriefs sowie der ihm zugrundeliegenden Geschäftsfelder. Die im vdp zusammengeschlossenen Pfandbriefbanken repräsentieren einen Marktanteil von 96 % der ausstehenden Pfandbriefe. Bei der Gewerbeimmobilienfinanzierung liegt ihr Anteil bei knapp 60% und bei der Wohnimmobilienfinanzierung bei knapp 40 %.
Erschienen in ErbbauZ 2025