Der an der Univ. Luxemburg tätige Architekt und Stadtforscher Florian Hertweck äußert sich zu den bodenpolitischen Aspekten der sozial-ökologischen Transformation, und betont dabei die Rolle des Erbbaurechts.
Herr Prof. Hertweck, Sie sind seit 2016 Professor für Architektur an der Universität Luxemburg und beschäftigen sich seit längerem mit Fragen der Bodenordnung. Könnten Sie unseren Lesern, bevor wir zum Erbbaurecht kommen, sagen, wofür Sie sich momentan vor allem interessieren?
Mein Hauptinteresse gilt der sozial-ökologischen Transformation aus der Perspektive der Architektur, Stadt- und Raumplanung. Wie können wir resilienter, also unabhängiger von globalen Lieferketten und robuster gegenüber Wetterextremen werden? Wie können wir als Planer zur Dekar- bonisierung beitragen und schonender im Umgang mit Ressourcen werden, dabei gleichzeitig die Wohnkrise überwinden, was oftmals als Widerspruch empfunden wird? Der Nachhaltigkeitsdiskurs wird heute in der Politik und Wirtschaft von dem Technofix-Versprechen dominiert, nach dem neue Technologien die Klima- und Ressourcenkrise zu lösen vermögen.
Ich stelle dem eine neue Kultur der Raumproduktion entgegen, bei der bodenreformatorische Maßnahmen, zu denen auch das Erbbaurecht gehört, essentiell sind. Anders ausgedrückt: Ohne die Bodenfrage wird die ökologische Frage nicht zu lösen sein, es sei denn die Technofix-Zauberer überraschen uns irgendwann mit bahnbrechenden Innovationen, wobei sie dann auch noch implementiert werden müssten. Aber die Transformation muss heute geschehen und nicht irgendwann in der Zukunft!
Sowohl als praktizierender Architekt als auch als Stadtforscher erörtere ich nun verschiedene Strategien der sozial- ökologischen Transformation in unterschiedlichen Maßstäben: an Gebäuden und Stadtvierteln bis hin zu Städten und Regionen wie dem funktionalen Raum von Luxemburg oder der Stadtregion von Genf.
Apropos Genf, denn Sie sind Leiter einer Planer- und Forschergruppe zur Prospektivplanung von Groß-Genf: wie plant man heute eine europäische Großstadt? Von radikalen Modellen wie der Gartenstadt oder – etwa im Nachkriegsberlin – der autogerechten Stadt ist man doch inzwischen abgekommen.
Das Wachstum der Städte hat sich immer entweder durch deren Ausbreitung in die Landschaft oder den kontinuierlichen Prozess von Abbruch und Neubau vollzogen. Die beiden von ihnen genannten Modelle fügen sich in diese beiden historischen Wachstumspfade der Städte ein, sind aber unter ökologischen Gesichtspunkten nicht mehr tragbar. Nur noch die behutsame Stadterneuerung, wie sie Hardt-Waltherr Hämer in den 1980er Jahren genannt hat, also die regenerative und transformative Reparatur des Bestands, wird das Motto einer sozialökologischen Raumproduktion der Zukunft sein.
Das beinhaltet auch die Aktivierung von Leerstand und die Bespielung der fossilen Flächen – also des gebauten Erbes des 20. Jahrhunderts – wie Parkplätzen, Garagenparks,Stadtautobahnen oder Gewerbegebiete. Hier bietet sich ein gigantisches Reservoir, das wir nutzen müssen! Es handelt sich also nicht mehr um einen extensiven Städtebau, sondern um einen intensiven Stadtumbau, der die Räume und Flächen der Stadtagglomeration den Lebewesen – also dem Menschen, den Tieren sowie den Pflanzen und Bäumen zurückgibt. Und um die fundamentalsten menschlichen Aktivitäten wieder zusammenführt, ob wir das dann Stadt der kurzen Wege oder ville d’un quart d’heure nennen, ist egal.
Auch bei Ihrer Mitwirkung an der grenzüberschreitenden luxemburgisch- lothringischen Stadt-Land-Entwicklung legen Sie einen Akzent auf neue Formen der Bodennutzung. Was sind das für Formen?
Zunächst einmal exklusiv die Entwicklung bereits versiegel- ter Flächen oder die Weiterentwicklung von Bestandsgebäuden. Wir haben in verschiedenen Gebieten deren Entwicklungspotentiale kartiert, beispielsweise welche Gebäude auf- gestockt werden können, welche Garagen überbaut und transformiert werden können, und schließlich wie ein Gewerbegebiet in ein lebendiges und durchmischtes Quartier umgewidmet werden kann. Der Schlüssel liegt dabei in intelligenten Übergangslösungen für die Mobilität. So müssen die PKW in einem ersten Schritt in modularen Parkhäusern gebündelt werden, um die gigantischen Parkplatzflächen freizubekommen.
Wir haben das mal im größten Gewerbegebiet Luxemburgs, in Foetz, durchgespielt: Dort gibt es 6200 Stellplätze, deren Auslastung bei unter 20 Prozent liegt. Über dreiviertel Fläche des Gewerbegebiets ist dadurch versiegelt, was viele Probleme bereit. So wird beispielsweise bei Starkregen das Schmutzwasser der Kanalisation hochgedrückt und fliest in einen danebenliegenden Bach. So bildet das Areal im Sommer eine Hitzeinsel, deren Temperatur über fünf Grad über der Temperatur der nebenliegenden Landschaft liegen kann. Indem wir nun die PKW zunächst bündeln, können wir die freigewordenen Flächen an den Rändern bebauen und dazwischen renaturieren.
Hierfür ist das Erbbaurecht ein zentrales Werkzeug, um die weitere Entwicklung sozialgerecht zu steuern, insofern das Gebiet wie in Foetz in großen Teilen der öffentlichen Hand gehört. Dadurch können wir beispielsweise einen sozialen Wohnungsmix vorgeben und sowohl Genossenschaften wie öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften Liegenschaften im Rahmen eines Erbbaurechtsvertrags zur Verfügung stellen.
Könnte man also sagen, daß dem Erbbaurecht in diesen Planungen, und vielleicht generell in Ihren bodenbezogenen Vorstellungen, eine dominierende Rolle zukommt?
Für die öffentliche Hand ist es die einzige sinnvolle Art, Grund und Boden für verschiedene sozial-ökologische Nutzungen zu vergeben. Das haben mittlerweile schon viele Städte und Gemeinden verstanden, aber das Problem ist, dass viele nicht mehr über große Flächen insbesondere in zentralen Lagen verfügen. Das meiste wurde in den fünfzehn Jahren nach der letzten Jahrhundertwende veräußert, nicht zuletzt, um die öffentlichen Kassen zu sanieren, was häufig eine Milchmädchenrechnung war. Oder sie wurden verkauft, um aufgrund fehlender anderer Einkommen soziale, technische oder kulturelle Infrastrukturen herzustellen. Die Frage lautet daher, wenn Städte nicht wie Ulm systematisch ihr Rückkaufrecht gezogen haben, wie sie dann ihr Reservoir an öffentlichem Grund und Boden wieder auffüllen?
Das hatte schon Hans-Jochen Vogel in den 1960er Jahren als Oberbürgermeister von München umgetrieben. Er war mit der Ohnmacht konfrontiert, in (und nicht vor) der Stadt bezahlbare Wohnungen und soziale Infrastrukturen zu realisieren, weil das meiste in privater Hand war. Daher schlug er die Aufspaltung des Eigentums in ein öffentliches Verfügungsrecht und ein privates Nutzungsrecht – also ein Erbbaurecht – vor, aber um dahin zu kommen, sollte der Boden mit Entschädigung de facto enteignet werden. Als Jurist und durch Verfassungsrechtler beraten sah er das konform mit der bundesrepublikanischen Verfassung.
Man könnte versucht sein, eine Wiederaufnahme von Vogels Ansatz mit der gegenwärtigen Wohnungsbaukrise zusammenzubringen. Würde Sie das überzeugen?
Absolut ja, aber obwohl es verfassungskonform wäre, ist es in unserer politischen Landschaft extrem unwahrscheinlich, dass es einmal durchgesetzt würde. In den 1970er Jahren war das noch wahrscheinlicher und selbst da kam es schließlich nicht zur Umsetzung. Das ist das tragische aus unserer wissenschaftlichen Perspektive: wir wissen, welche horrenden sozialen und ökologischen Auswirkungen die liberal- konservative Auslegung des Bodenrechts erzeugt hat und was gemacht werden müsste, aber es wird nicht dazu kommen. Daher arbeiten wir an Mikro-Lösungen und kreativen Auslegungen des Baurechts wie beispielsweise Transferable Rights.
Wie sieht es mit der Bodenfrage in Luxemburg aus? Gibt es dort überhaupt so etwas wie ein Erbbaurecht?
Die Bodenfrage ist in Luxemburg extrem virulent, weil weniger als 13 % der baureifen Böden in öffentlicher Hand und die anderen 87 % extrem ungleich verteilt sind. So gehören beispielsweise in Luxemburg-Stadt 63 % aller Grundstücke 13 Familien und Firmen. Die öffentliche Hand wendet oftmals das Erbbaurecht an, pervertiert es zumeist aber, indem sie den Erbbauzins für 99 Jahre in einem Rutsch einkassieren will. Dadurch wird der große Vorteil des Erbbaurechts außer Kraft gesetzt, nämlich dass gemeinnützige Wohngemeinschaften, insbesondere Genossenschaften, ausgeschlossen werden. Folgerichtig gibt es hier nicht eine einzige Genossenschaft. Im Grunde genommen wird das Erbbaurecht nur als Werkzeug der Kontrolle begriffen und nicht als Steuerungsinstrument einer sozialen Stadtentwicklung.
Wäre es nicht aus ökologischer Sicht sinnvoll, viel länger laufende Erbbaurechte zu haben? Die alte europäische Stadt war doch für Jahrhunderte gebaut.
Interessant ist am Erbbaurecht ja, dass der Eigentümer und Nutzer regelmäßig im Gespräch bleiben. Generell kommt es ja selten zu dem, was unglücklich Heimfall genannt wird, also zur Rückübertragung des Grundstücks an den Eigentümer. Man verhandelt neu. Gegebenenfalls kann auch ein kürzerer Erbbauvertrag Sinn haben, beispielsweise in Gewerbegebieten, um deren Transformation zügiger voranzutreiben. Das bedeutet in Bezug auf die Nachhaltigkeit ja nicht, dass der Heimfall einen Abbruch impliziert, auch dann gilt die Maxime Bauen im Bestand.
Zurück zu Ihrem ökologischen Ansatz: Wenn ein weiterer Bodenverbrauch aus guten Gründen vermieden werden sollte, dann hat das Auswirkungen auch auf den Bau von Einfamilienhaussiedlungen.
Einfamilienhäuser sind vollkommen untragbar, weil sie in der Summe extrem viel Böden versiegeln, viel Wohnfläche für wenige Bewohner generieren und die Stadtagglomeratio- nen in die Breite ziehen, womit sich die Distanzen zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit erhöhen, damit das Mobilitätsaufkommen und folglich der CO2-Ausstoß. Obwohl es immer viele Anfragen dazu gab, habe ich mich nun als praktizierender Architekt auch davon losgelöst und meine Praxis der Umbaukultur verschrieben.
Der Umbau bzw. die Nachverdichtung von bestehenden Einfamilienhausgebieten ist eine der großen Aufgaben der Zukunft. Denn laut Studien von Thomas Sieverts werden in etwa die Hälfte der Einfamilienhäuser nicht mehr so genutzt, wie sie geplant wurden. Meistens steht aufgrund neuer familiärer Verhältnisse die Hälfte des Hauses leer bzw. wird untergenutzt. Aber da sie nun einmal nicht auf öffentlichem Grund und Boden über Erbbaurechtsverhältnisse entstanden sind, ist ihre Transformation herausfordernder.
Die Einfamilienhausbesitzer waren übrigens damals der Faktor, warum Vogels Bodenrechtsreformen nicht umgesetzt wurden. Nicht real, aber weil ihre Ängste instrumentalisiert wurden. Es wurde von konservativen Politikern und Medien suggeriert, Vogel wolle dem Häuslebesitzer das Haus wegnehmen, was natürlich nicht stimmte. Er wollte an die Großgrundbesitzer in zentralen Lagen ran, in denen ein besonderer Entwicklungsdruck herrschte.
Erschwert wird der Umbau dieser Einfamilienhaussiedlungen auch durch das in dieser Hinsicht vollkommen veraltete Baurecht und die veralteten Bebauungspläne, die noch immer in der Regel die Serie Haus, Garage, Garage, Haus, Garage, Garage, Haus, usw. vorsehen und wirksame Nachverdichtungen oder notwendige Durchmischungen verunmöglichen. Und aus meiner Erfahrung auch die öffentliche Verwaltung, die vollkommen unflexibel selbst auf leichte Nachverdichtungsansätze reagiert und jede Veränderung an sich abperlen lässt, indem sie sich auf die veralteten Regelwerke beruft. Das ist ein großes Problem!
Wenn man den Gedanken des Langfristigen und Nachhaltigen wieder stärker betonen möchte: was hieße das aus Ihrer Sicht zusammenfassend für die Zukunft des Städtebaus?
Eben diese zwei Entwicklungsstränge zu durchbrechen, nicht mehr zu zersiedeln und nicht mehr abzureißen. Das große Thema ist im Kontext der Dekarbonisierung die graue Energie, also die Energie, die für die Herstellung der Gebäude und der Infrastrukturen benötigt wird, und weniger die Nutzungsenergie, auf die sich der politische Diskurs fokussiert. Sie benötigen in etwa 40 Jahre, bis die Nutzungsenergie auf dem gleichen Niveau der grauen Energie angelangt ist. Auf der anderen Seite sind gewachsene Böden fundamental für die Biodiversität, relevant in Bezug auf die Dekarbonisierung, da sie CO2 speichern, und essentiell für die Resilienz, da sie Wasser versickern lassen und Hitzeinseln entgegenwirken. Wir sind demnach dazu verdammt, mit dem Bestand zu arbeiten. Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch, Herr
Prof. Hertweck!
Florian Hertweck (Jahrgang 1975) ist praktizierender Architekt, Gründer von Less Yellow Architecture Urbanism, und Professor an der Universität Luxemburg, wo er den Masterstudiengang Architektur leitet. Er hat den luxemburgischen Pavillon für die 16. Architekturbiennale von Venedig zur Bodenfrage kuratiert und kürzlich die Ausstellung The Great
Repair an der Akademie der Künste und dem Pavillon de l’Arsenal in Paris co-kuratiert. Er hat zur sozial-ökologischen Transformation von Stadtagglomeration geforscht, wie Groß-Genf, Berlin, Paris und der Groß-Region (also der aus Luxemburg und Teilen von Rheinland-Pfalz, Wallonien und Lothringen bestehenden Region). Seine wichtigsten Publikationen sind Architektur auf gemeinsamem Boden. Positionen und Modelle zur Bodenfrage (Zürich 2020), Dialogic City. Berlin wird Berlin, mit Arno Brandlhuber und Thomas Mayfried (Berlin 2015) sowie Der Berliner Architekturstreit (Berlin 2010).
Erschienen in ErbbauZ 2024