Unser Mitherausgeber Jörn Heinemann wurde nach zwanzig Jahren als selbständiger Notar in Oberfranken und der Oberpfalz nun Zivilrechtsprofessor in Berlin. Dies nehmen wir zum Anlass für einen kleinen Rückblick.
Herr Prof. Heinemann, Sie sind, wie Ihre in diesem Jahr vorgestellten neuen Kollegen, Mitherausgeber der ErbbauZ. Deshalb auch an Sie zunächst die Frage: worin liegt für Sie der Reiz des Erbbaurechts?
Aus juristischer Sicht handelt es sich beim Erbbaurecht um ein „hybrides Modell“, das sich aus einem Geflecht unterschiedlicher Rechtsbeziehungen zusammensetzt, nämlich der Begründung dinglicher Rechte sowie dem Abschluss sowohl dinglich als auch schuldrechtlich wirkender Vereinbarungen. Die Ausgestaltung von Erbbaurechtsverträgen stellt daher eine große Herausforderung für alle beteiligten Rechtskundigen dar.
Betrachtet man das Erbbaurecht hingegen aus Sicht der Rechtsuchenden, besteht dessen Vorteil in der Vielfältigkeit seiner Einsatzmöglichkeiten. Es dient eben nicht nur dazu, kostengünstigen Wohnraum für Bevölkerungsschichten zu schaffen, die sich keinen Grundbesitz leisten können, sondern auch dazu, eher untypische Projekte umzusetzen. So habe ich während meiner notariellen Tätigkeit neben Erbbaurechten an Wohngebäuden auch Erbbaurechte für den Betrieb von Windkraftanlagen, Kliniken, Kindergärten und – einer öffentlichen WC-Anlage beurkundet.
Und was sollte Ihres Erachtens getan werden, um die Popularität des Erbbaurechts zu fördern?
Leider wird das Erbbaurecht wie viele andere Rechtsinstitute (zB die Rentenschuld, die Gütergemeinschaft oder die Nachlassverwaltung) von der Praxis nur stiefmütterlich behandelt, was vor allem daran liegt, dass viele Rechtsanwender kaum noch über Kenntnisse in diesen speziellen Rechtsgebieten verfügen. So sprechen nicht nur die juristischen Laien, sondern auch viele Rechtsgelehrte statt vom Erbbaurecht immer wieder von der „Erbpacht“, die es im deutschen Recht gar nicht gibt.
Die wenigen Spezialisten hingegen verzetteln sich mE in Detailfragen und die Kautelarjurisprudenz schreckt viele Interessierte durch komplizierte und überregulierte Erbbaurechtsverträge ab. Ich habe deshalb in einem Formularbuch versucht, ein ganz einfaches und kurzes Muster für die Be- stellung eines Erbbaurechtsvertrags zur Verfügung zu stellen.
Zusammenfassend kann das Erbbaurecht aus meiner Sicht dann populärer werden, wenn sowohl die Praxis als auch die Bevölkerung besser über dessen Inhalte und Vorteile informiert werden und wenn sich die Vertragsgestaltung bemühen würde, einfacherer und verständlichere Erbbaurechtsverträge auszuformulieren.
Könnte auch der Staat hier einen Beitrag leisten?
Das Erbbaurecht sollte an seinen ursprünglichen Zweck wieder herangeführt werden, nämlich den (wenn auch nur zeitlich befristeten) Erwerb von Eigentum denjenigen Personen zu ermöglichen, die sich eine Eigentumswohnung oder die Bebauung eines Grundstücks finanziell nicht leisten können. Das Erbbaurecht sollte als eine Alternative zu Wohnraummietverträgen gefördert werden. Dort lässt sich wegen des Beurkundungserfordernisse mE viel einfacher als im Mietrecht zum Schutz der Berechtigten eine Preiskontrolle durchsetzen. Andererseits werden die Eigentümer entlastet, die Eigenverantwortung der Nutzer gestärkt. Wenn dafür ggf. noch steuerliche Vorteile gewährt werden, könnte sich in Deutschland endlich eine echte Alternative zur Wohnraummiete entwickeln.
Würden Sie vorschlagen, auch das Erbbaurechtsgesetz zu ändern?
Aktuell sehe ich keine Veranlassung, das ErbbauRG in seinen Grundzügen umzugestalten. Das Sachenrecht ist beharrlich und benötigt Beständigkeit, nicht Innovation. Deswegen waren aus meiner Sicht die sachenrechtlichen Änderungen im Zuge der WEG-Reform (zB die Zulassung von Sondereigentum an unbebauten Teilen des Grundstücks) überflüssig, wenn nicht sogar schädlich, was sich aber erst in Zukunft zeigen wird. Hingegen sollten einzelne Problemfälle, die der WEG-Reformgesetzgeber leider nicht aufgegriffen hat, wie die vom Schrifttum erkannte Gefahr (Weber, ZWE 2019, 251; Schneider, ErbbauZ 2024, 66), dass mit dem Zeitablauf von Wohnungserbbaurechten deren Erlöschen droht, reguliert werden. Wenn der Gesetzgeber die Problematik nicht löst, wird hoffentlich die Rechtsprechung für einen gerechten Ausgleich der gegenläufigen Interessen der Wohnungserbbauberechtigten, der Gemeinschaft der Wohnungserbbauberechtigten und des Grundstückseigentümers sorgen.
Von Seiten des Gesetzgebers wird aus meiner Sicht zu wenig Wert auf eine rechtsvergleichende Betrachtung der sachenrechtlichen Institutionen, wie des Erbbaurechts, gelegt. In meiner Untersuchung zum vergleichsweise neu geschaffenen Erbbaurecht in Argentinien (ErbbauZ 2022, 134) habe ich einige Aspekte entdeckt, wie z. B. die Ausweitung des Erbbaurechts auf andere Gegenstände als Bauwerke, die durchaus erwägenswert sind. Ich begrüße daher die Aufsatzreihe der ErbbauZ zum Inhalt, zur Bedeutung und zur rechtlichen Ausgestaltung des Erbbaurechts in anderen Ländern, die sehr instruktiv ist.
Sie sind jetzt Professor für Bürgerliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, und waren zuvor mehr als zwanzig Jahre lang im bayerischen Notardienst tätig. Waren Sie gerne Notar und wollten Sie immer schon Notar werden?
Als Studierender den Berufswunsch Notar anzustreben, wäre sicher vermessen gewesen, die fachlichen Voraussetzungen, um in den Anwärterdienst übernommen zu werden, sind und waren sehr hoch. Die Berufswahl habe daher eher spontan treffen müssen, weil damals nur ein kurzer Überlegungszeitraum zur Verfügung stand.
Den Notarberuf habe ich mit Freude und Hingabe ausgeübt, dabei aber nie meine Passion – die Wissenschaft – aus dem Auge verloren. Neben der Tätigkeit als Notar habe ich stets Lehraufträge übernommen und wissenschaftlich publiziert. Die sich kurzfristig ergebende Möglichkeit, als Hochschullehrer an die HWR Berlin zu wechseln, war für mich der ideale Zeitpunkt, um sich noch intensiver der Forschung und Lehre zu widmen. Und es ist natürlich für einen gebürtigen Mittelfranken auch eine wunderbare Gelegenheit, in einer Weltstadt zu leben und zu arbeiten.
Profitieren Sie in Ihrer neuen Aufgabe von Ihren Erfahrungen als Notar?
Ich denke, ja. Einerseits weil man neben den theoretischen Kenntnissen auch seine praktischen Erfahrungen im Umgang mit den Behörden, Gerichten und der rechtsuchenden Bevölkerung den Studierenden vermitteln kann. Das erscheint mir besonders wichtig, weil eine Theorie ohne praktische Anschauung „blutleer“ bleiben muss, eine Praxis ohne theoretische Grundlage aber in bürokratischen Formalismus ausarten kann. Andererseits habe ich immer versucht, eine notarielle Beurkundungsverhandlung so transparent und niederschwellig wie möglich durchzuführen, damit die Beteiligten den Inhalt eines (vermeintlich komplizierten) Rechtsgeschäfts verstehen können. Ich hoffe, dass es mir mit dieser Methode auch gelingt, den Studierenden das erforderliche Wissen zu vermitteln.
Sie haben sich – auch dies ein Aspekt Ihrer wissenschaftlichen Aktivitäten – intensiv mit dem Philosophen Wilhelm Kamlah (1905-1976) befasst (vgl. Ihre Veröffentlichung: „Der Freitod als Verwirklichung des glücklichen Lebens: ein Beitrag zur philosophischen Anthropologie Wilhelm Kamlahs“, Baden-Baden 2017). Was spricht dafür, sich mit Kamlah auseinanderzusetzen?
Dafür spricht zum einen, dass Kamlah als Vertreter der philosophischen Anthropologie das menschliche Dasein aus der vorgefundenen Natur des Lebens heraus so interpretiert, dass seine Erkenntnisse auch für einen philosophischen Laien nachvollziehbar sind. Er bemüht sich dabei, in einer verständlichen Sprache den Umgang mit und die Lösung von alltäglichen Grundkonflikten, wie der Erfahrung von Angst, Schmerz, Krankheit und Tod, auf nahbare Weise zu erleichtern.
Gerade sein Eintreten für eine einfache und verständliche Sprache lege ich jedem Juristen ans Herz. Insofern verstehe ich Kamlah ebenso wie Schopenhauer als einen Sprachpuristen, der mit einer klaren und geradlinigen Sprache auch für ein klares und geradliniges Denken einsteht. Wenn das Recht keine Geheimwissenschaft sein soll (und davon bin ich überzeugt), dürfen sich die Rechtskundigen mE auch keiner Ge- heimsprache bedienen.
Gibt es, abschließend, Ihres Erachtens weitere Gründe, weshalb Juristen philosophische Texte lesen sollten?
Dass die praktische Philosophie beispielsweise mit ihren Bezügen zur Ethik eine wichtige Hilfestellung bei der Entwicklung einer rechtlich richtigen, also gerechten, Lösung sein kann, dürfte wohl allseits bekannt sein. Aber auch Kenntnisse auf dem Gebiet der analytischen Philosophie, insbesondere der Sprachphilosophie und der deontologischen Logik, können dem Rechtsanwender behilflich sein, folgerichtig zu liefern oder endlose Rechtsprechungs- und Literaturzitate aneinander zu reihen. Das beherrscht die künstliche Intelligenz mit Sicherheit schon jetzt besser.
Leider werden in der juristischen Fachliteratur zu viele Beiträge von Autoren verfasst, die aus meiner Sicht keinen geschulten sprachlichen Stil besitzen, die aber einfach „drauflos“ schreiben dürfen, ohne ihre Texte nochmals stilistisch und grammatikalisch überarbeiten zu müssen. Au- ßerdem wird oftmals „ins Blaue hinein“ publiziert, ohne Rücksicht darauf, ob es sich dabei wirklich um relevante Themen handelt. Insbesondere für Fortbildungsveranstaltungen werden aufgrund einer anstehenden Gesetzesänderung oder wegen einer vereinzelten obergerichtlichen Entscheidung neue (Schein-)Probleme aufgetischt, aufgebauscht und abgehandelt, ohne zunächst die weitere Entwicklung abzuwarten, nur um anschließend den ganzen Humbug nochmals in Buchform gewinnbringend veröffentlichen zu können. Ein gutes Beispiel ist aus meiner Sicht der Energieausweis: das notarielle Schrifttum hat unzählige Beiträge zum Energieausweis verfasst und jedes mit dessen Einführung verbundene Problem detailliert beschrieben und vermeintlich gelöst. Und trotzdem kann ich mich in meiner 20-jährigen Berufserfahrung an keine Situation erinnern, in der einer dieser Beiträge erforderlich oder hilfreich gewesen wäre.
Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch, Prof. Heinemann!
Prof. Dr. Jörn Heinemann ist Experte für Nachlassrecht, Grundstücksrecht und Familienrecht sowie für das Verfahrens- und Kostenrecht der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Er studierte Rechtswissenschaften an der Friedrich-Alexander- Universität, Erlangen-Nürnberg, wo er 2001 auch pro- movierte und den Promotionspreis der Juristischen Fakultät erhielt. 2009 schloss er einen Master of Laws (LL.M.) in Real Estate Law an der Wilhelms-Universität Münster ab und nahm noch im selben Jahr das Studium der Kulturwissenschaften an der FernUniversität Hagen auf (abgeschlossen als B. A.), gefolgt von einem Masterstudiengang in Philosophie, ebenfalls an der FernUniversität Hagen.
2004 wurde Heinemann zum Notar auf Lebenszeit bestellt mit Amtssitz in Rehau (Oberfranken). 2009 verlegte er seinen Amtssitz nach Neumarkt i.d.OPf., wo er bis zu seiner Berufung als Professor an den Fachbereich Rechtspflege der HWR Berlin als Notar tätig war. Parallel zu seiner Notartätigkeit schloss er eine interdisziplinäre Mediationsausbildung mit Spezialisierung im Familienrecht ab.
Jörn Heinemann ist seit 23 Jahren Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten und Hochschulen und bringt daher umfangreiche Lehrerfahrung mit. Seine Forschungsinteressen konzentrieren sich auf die Themenbereiche Erbschaftsausschlagung, Nachlasspflegschaft, Fiskalerbrecht, Wohnungseigentum, Erbbaurecht, MaBV, Gütergemeinschaft, dt.-frz. Wahlzugewinngemeinschaft, sonstige Familiensachen, Beurkundungsverfahren, FamFG, GNotKG und Anwaltshaftungsrecht. Er ist Mitherausgeber der Zeitschriften ErbbauZ und FGPrax.
Erschienen in ErbbauZ 2024