Joaquín de Santos: “CLTs sind ein partizipatives Projekt”

de_Santos

2024/2

Ergänzend wirft Joaquín de Santos einen Blick auf CLTs in verschiedenen europäischen Ländern.

ErbbauZ: Herr de Santos, wollen Sie zu Beginn etwas sagen zu Ihrer Rolle im europäischen CLT-Netzwerk, und zur Rolle dieses Netzwerkes für CLT-bezogene Projekte in Deutschland? Übernimmt Ihr Netzwerk eine anregende, eine koordinierende oder vielleicht auch eine leitende Rolle?

de Santos: Ich arbeite beim Community Land Trust Brussels, dem ersten CLT auf dem europäischen Kontinent. Unser CLT hat, neben der Bereitstellung von Wohnraum, die Verbreitung des CLT-Modells von Anfang an zu seiner Priorität gemacht. So habe ich in den letzten fünf Jahren an der Verbreitung des CLT-Modells in Europa gearbeitet, zunächst im Rahmen eines von der EU finanzierten Projekts mit dem Titel Sustainable Housing for Inclusive and Cohesive Cities (Nachhaltiges Wohnungswesen für inklusive und kohäsive Städte), und dann weiter an der Unterstützung der Bewegung durch die Einrichtung eines europäischen CLT-Netzwerks, das sich gerade im Aufbau befindet.

Wir standen schon sehr früh mit Einzelpersonen und Organisationen in Berlin in Kontakt, die versucht haben, dort einen CLT zu gründen, den ersten im deutschsprachigen Raum. Wir haben sie in unser europäisches Projekt integriert, was dieser Berliner Initiative die Möglichkeit gab, an einem Lernaustausch mit anderen CLTs teilzunehmen. Aus dieser Initiative entstand die Stadtbodenstiftung Berlin. Sie arbeitet daran, das CLT-Modell in ganz Deutschland zu verbreiten.

Das Europäische CLT-Netz soll als Sprachrohr für das CLT-Modell in Europa fungieren, für das Modell werben und es bekannt machen. Es wird auch ein Treffpunkt sein, an dem CLTs zusammenkommen können, um voneinander zu lernen und Erfahrungen auszutauschen. Darüber hinaus wird es eine Rolle als Impulsgeber für Partnerschaften und die Erforschung neuer Entwicklungen des Modells spielen. Und nicht zuletzt wird sie versuchen, das Entstehen weiterer CLTs in ganz Europa zu unterstützen, sowohl in Ländern, in denen sie bereits existieren, als auch in Ländern, in denen sie noch nicht vertreten sind.

ErbbauZ: Würden Sie sagen, daß Versuche, CLT-ähnliche Projekte in den jeweiligen Ländern einzuführen, einander eigentlich alle sehr ähnlich sind? Oder gibt es Unterschiede, denn gerade im genossenschaftlichen Bereich sind doch die europäischen Rechtstraditionen ziemlich verschieden?

de Santos: Das CLT-Modell ist sehr vielseitig, da es sich an lokale Bedürfnisse, Umstände und Interessengruppen anpassen lässt. Während das Modell seinen Ursprung in der angelsächsischen Welt (USA, England und Wales) hat, wo der Schwerpunkt auf der Organisation von Gemeinschaften liegt, hat es sich andernorts als ein Modell entwickelt, das von öffentlichen Behörden unterstützt oder sogar initiiert wird. Schließlich gibt es auch Fälle, in denen sich die Zivilgesellschaft für das Modell einsetzt, um ein „Recht auf Stadt“ durchzusetzen.

Lokale Entwicklungen hängen auch von der jeweiligen Wohnungswirtschaft ab. In vielen Städten Europas gibt es einen starken sozialen Wohnungsbau, in anderen einen starken genossenschaftlichen Sektor, wie das in vielen deutschen Städten der Fall ist. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass das CLT-Modell in allen Kontexten einen Mehrwert bringen kann, auch dort, wo es bereits starke Alternativen zur kapitalistischen Wohnungsversorgung gibt.

ErbbauZ: In Deutschland werden sich Versuche, an die CLT anzuknüpfen, maßgeblich auf das Erbbaurecht stützen? Wie ist das in anderen Ländern?

de Santos: Grundstücke sind für das CLT-Modell von grundlegender Bedeutung. Daher sind die CLTs in den meisten Fällen Eigentümer der Grundstücke, auf denen sie Wohnungen und andere Einrichtungen errichten. Um sicherzustellen, dass der Boden auf Dauer im Besitz des CLT bleibt, werden die auf diesem Boden errichteten Anlagen entweder vermietet oder im Erbbaurecht vergeben. Ein zentrales Element ist daher die Trennung des Eigentums an Grund und Boden und von den darauf errichteten Vermögenswerten, und dies kann in vielen Fällen durch einen Erbbaurechtsvertrag erfolgen, wenngleich es Variationen je nach den rechtlichen Rahmenbedingungen gibt.

ErbbauZ: Könnten Sie abschließend etwas zu den Besonderheiten der belgischen CLT sagen, und zu Ihrem Projekt in Brüssel?

de Santos: Das CLT Brüssel wurde von der Zivilgesellschaft zu einer Zeit initiiert, in dem es immer schwieriger wurde, erschwinglichen Wohnraum zu finden. Die bestehenden öffentlichen Programme zur Unterstützung einkommensschwacher Haushalte waren aufgrund steigender Preise nicht mehr effektiv. Die Zivilgesellschaft setzte sich daher für die Schaffung eines CLT als alternatives Programm zur Entwicklung von Wohnraum für einkommensschwache Haushalte ein. Die Regionalregierung der Region Brüssel-Hauptstadt griff diese Forderungen auf und unterstützt das CLT seither mit Subventionen.

Von Anfang an hat unser CLT Wert darauf gelegt, ein partizipatives Projekt zu sein, das darauf abzielt, seinen zukünftigen Bewohnern, die in ihrer überwiegenden Mehrheit einen Migrationshintergrund haben und über ein geringes Einkommen verfügen, eine Perspektive zu bieten. Die derzeitigen und künftigen Bewohner sind gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und den Behörden an der Leitung unserer Organisation beteiligt.

Wir haben einen partizipativen Prozess vor und nach dem Einzug der Bewohner entwickelt, damit wir sie individuell und kollektiv stärken können. Das bedeutet, dass wir die künftigen Bewohner bereits zwei Jahre vor der Fertigstellung des Wohnprojekts durch ein Programm von Workshops und Aktivitäten einbeziehen, die sich mit den praktischen Aspekten des Lebens als Hausbesitzer, aber auch mit anderen Aspekten wie dem Zusammenleben in einer Gruppe oder dem Engagement in der Nachbarschaft befassen. Dieses Element ist von grundlegender Bedeutung, um das “C” (Community) des CLT-Modells zu erreichen.

ErbbauZ: Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr de Santos!

Joaquín de Santos hat Politikwissenschaft und europäische Politik in der Schweiz, Großbritannien, Frankreich und Belgien studiert. Nachdem er sieben Jahre lang in europäischen Angelegenheiten und an Projekten zum industriellen Erbe gearbeitet hatte, kam er Anfang 2018 zu den Mitarbeitern des CLT Brüssel, um das europäische Projekt “Sustainable Housing for Inclusive and Cohesive Communities” (SHICC) zu koordinieren, mit dem das CLT-Modell in Europa verbreitet werden soll. Derzeit arbeitet er am Aufbau eines europäischen CLT-Netzwerks sowie an einer Studie über die Commons in Brüssel. Er interessiert sich seit langem für die städtischen Kämpfe um das Recht auf die Stadt und das industrielle und soziale Erbe. In seiner Freizeit promoviert er in Stadtpolitik an der Universität Antwerpen, Belgien.

Erschienen in: ErbbauZ 2023/3

Aktuelles

Alle ansehen

Müssen Erbbaurechte sozial sein?

Ohne Erbbaurecht keine EM: Vier von zehn EM-Stadien stehen auf Erbbaurechtsgrundstücken

Das Erbbaurecht als Instrument der kommunalen Bodenpolitik

Prof. Dr. Karl Winkler „Klauseln, die praktisch in jedem Erbbaurechtsvertrag enthalten sind, sollten zum gesetzlichen Inhalt mit Änderungsvorbehalt gemacht werden“