Die 2021 in Berlin gegründete, vorrangig von US-amerikanischen Vorbildern inspirierte Stadtbodenstiftung zielt auf eine gemeinwohlorientierte Bewirtschaftung städtischen Bodens, gestützt auf die Vergabe von Erbbaurechten und auf eine Verbindung von bezahlbarem Wohnraum, Nachbarschaftszentren, Gewerbehöfen und Gemeinschaftsgärten. Die Vorstandsvorsitzende Dr. Sabine Horlitz erläutert die Tätigkeit der Stiftung und den gedanklichen Hintergrund.
ErbbauZ: Frau Dr. Horlitz, die von Ihnen geleitete Stiftung möchte in Berlin Erbbaurechte an gemeinwohlorientierte, nicht gewinnorientierte Akteure vergeben – an Genossenschaften, Hausvereine, soziale Träger oder Projekte des Mietshäuser Syndikats. Die Stadtbodenstiftung orientiert sich dabei – als erste im deutschsprachigen Raum – am Modell des angelsächsischen „Community Land Trust“. Könnten Sie zunächst erklären, worum es sich bei diesen CLTs handelt?
Dr. Horlitz: Gerne. Community Land Trusts (CLTs) sind ein gemeinschaftliches, nicht gewinnorientiertes Eigentumsmodell, mit dem Grund und Boden dauerhaft der Spekulation entzogen wird, um ihn für bezahlbaren Wohnraum, aber auch für gewerbliche, soziale oder kulturelle Nutzungen zur Verfügung zu stellen. CLTs sind sozial orientierte und in der Regel im Rahmen des jeweiligen Landesrechts als gemeinnützig anerkannte, nicht gewinnorientierte Organisationen.
Die CLTs sind, vereinfacht gesagt, durch zwei Grundprinzipien gekennzeichnet:
Das erste Grundprinzip besteht in der Trennung des Eigentums am Grund und Boden vom Eigentum am Gebäude. Der Boden verbleibt dauerhaft im Eigentum des CLTs, bzw. in unserem Fall im Eigentum der Stiftung. Die Gebäude und Nutzungsrechte werden, wie von Ihnen erwähnt, im Erbbaurecht vergeben. Das zweite Grundprinzip ist das der Selbstverwaltung und Mitbestimmung. CLTs sind demokratisch verwaltete und lokal verankerte Organisationen mit der Möglichkeit zur Mitgliedschaft. Alle Nutzer sind stimmberechtigte Mitglieder, aber auch alle Menschen, die in der Nachbarschaft wohnen, können es werden. Die Definition einer Nachbarschaft ist dabei Sache der einzelnen CLTs. Einige beziehen sich auf überschaubare innerstädtische Gebiete oder einen kleinen ländlichen Bezirk, andere umfassen ganze Städte bis hin zu Metropolregionen. Rechte und Pflichten der Mitglieder werden – ähnlich wie bei Genossenschaften – in der Satzung, den sogenannten Bylaws, geregelt.
Die von John Davis, einem der wichtigsten Vertreter der CLT-Bewegung in den USA, 2015 geprägte Kurzformel „community-led development on community-owned land“ fasst die Kernidee der CLTS treffend zusammen.
ErbbauZ: Das klingt nach einem genossenschaftlichen Ansatz. Sind also die CLT eine Art US-amerikanischer Wohnungsbaugenossenschaften?
Dr. Horlitz: CLTs gibt es seit etwa 50 Jahren. Sie sind damit zwar ein relativ neues Eigentumsmodell, gehen jedoch auf zum Teil wesentlich ältere Formen gemeinschaftlichen Landbesitzes zurück. Die frühe CLT-Bewegung bezog sich auf eine Vielzahl gesellschaftspolitischer Ideen: Ihre Vorbilder waren die frühen Commons und die spätere Gartenstadtbewegung in England, die Gramdan-Bewegung in Indien, in der einzelne Dörfer als Treuhänder landwirtschaftlich genutzten Bodens fungierten, die mexikanischen Ejidos oder die israelischen Kibbuzim und Moschavim. Originär US-amerikanische Vorläufer der CLTs waren die um 1900 gegründeten „Single Tax Colonies“, die sich auf Henry Georges Theorie der Einheitssteuer beriefen. Diese experimentellen Gemeinschaften verbanden kollektives Eigentum an Grund und Boden mit individuellem Besitz der darauf befindlichen baulichen Strukturen. Sie bestehen, wie das 1940 von Quäkern gegründete Bryn Gweled in der Nähe von Philadelphia, zum Teil bis heute. Der erste CLT im heutigen Sinn wurde in den USA Ende der 1960er Jahre von Bürgerrechts-Aktivisten in der Nähe von Albany, im ländlichen Georgia gegründet, um angesichts der rassistischen Diskriminierung in der Bodenpolitik schwarzen Farmern einen dauerhaft gesicherten Zugang zu Ackerland und Wohnraum zu ermöglichen. In den 1980er Jahren, als zunehmende Aufwertungsprozesse in US-amerikanischen Städten zur Verdrängung vor allem einkommensschwacher Haushalte führten, wurden die ersten städtischen CLTs gegründet. Als nachbarschaftsbezogenes Modell der langfristigen Sicherung kostengünstigen Wohnraums für Menschen mit geringem Einkommen fanden CLTs in den folgenden Jahren insbesondere bei Nachbarschaftsorganisationen, die dem Rückzug des Staats aus der Wohnungsversorgung etwas entgegensetzen wollten, rasche Akzeptanz und Verbreitung.
ErbbauZ: Mittlerweile sind in vielen US-amerikanischen Städten die CLTs über das Niveau von Nachbarschaftsinitiativen hinausgewachsen, jetzt beteiligen sich auch Stadtverwaltungen. Aus Nachbarschaftsinitiativen werden kommunale Veranstaltungen. Was ist davon zu halten?
Dr. Horlitz: Ja, Sie haben Recht. Wurden CLTs bis in die Anfänge der 2000er Jahre vor allem durch Nachbarschafts- und lokale Non-Profit-Organisationen initiiert, so errichten mittlerweile auch staatliche Institutionen und städtische Verwaltungen CLTs. Dieser Prozess geht mit einer gewissen Ambivalenz einher. Einerseits ist diese Form des, wenn man so möchte, Mainstreaming eine notwendige Voraussetzung dafür, dass CLTs – ja, alternative Eigentumsformen überhaupt – zu einem nennenswerten Faktor der Wohnungsversorgung werden, so dass mehr Menschen davon profitieren können. Andererseits geht damit aber mitunter auch eine Verschiebung des inhaltlichen Schwerpunkts einher. Meist spielen Community und Nachbarschaft in den staatlich initiierten CLTs eine geringe Rolle. Beispielsweise hat die Stadt Chicago, nachdem dort der Bestand an staatlichen Sozialwohnungsbauten nahezu vollständig abgerissen wurde, im Jahr 2006 einen CLT eingerichtet, dessen Gebiet sich über die ganze Stadt erstreckt. Die Verwaltung des CLTs wird von der Chicagoer Planungsbehörde organisiert und der Vorstand vom Bürgermeister der Stadt mit Zustimmung der Stadtverwaltung eingesetzt und eben nicht, wie bei den meisten CLTs, durch die Mitglieder gewählt. Zwar ist geplant, dass ein Drittel des „Boards“ des Chicago CLTs aus Nutzern bestehen wird, sobald der dieser einen Wohnbestand von 200 Haushalten erreicht hat. Dies ist jedoch noch nicht der Fall.
Es gibt aber durchaus auch Beispiele staatlicher Unterstützung, in denen es zu einer sehr produktiven Zusammenarbeit von Kommune und CLTs gekommen ist. Ein bekanntes Beispiel ist der Champlain Housing Trust in Burlington, Vermont. Gegründet in den 1980er Jahren ist der Champlain Housing Trust einer der ersten CLTs, die mit aktiver organisatorischer und finanzieller Unterstützung der Stadt errichtet wurde. Mit einem Startzuschuss von 200.000 Dollar sowie einem Darlehen aus kommunalen Mitteln unterstützte die Stadt – der spätere demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders war damals Burlingtons Bürgermeister – den neu gegründeten CLT, um dauerhaft bezahlbaren Wohnraum in Burlington zu schaffen. Die Einrichtung einer festen Finanzierungsquelle durch den kommunalen „Housing Trust Fund“, die dem CLT, aber auch anderen Organisationen, die bezahlbaren Wohnraum bereitstellen, zur Verfügung steht, war für das kontinuierliche Wachstum des CLTs von zentraler Bedeutung. Mittlerweile ist der Champlain Housing Trust mit mehr als 2.000 Haushalten der größte CLT in den USA. 2008 wurde er mit dem angesehenen World Habitat Award ausgezeichnet.
ErbbauZ: Wenn man die CLTs mit den hier verfügbaren Rechtsformen vergleicht, wo liegt dann ihr Vorteil?
Dr. Horlitz: Das CLT-Modell zeichnet sich durch eine hohe Flexibilität aus. Es ist offen für unterschiedliche Nutzungen, Trägerschaften und Bauformen. Während die Mehrzahl der außerhalb der Großstädte gelegenen CLTs eher konventionelle Wohntypen anbietet, vor allem Einfamilien- und Reihenhäuser, gibt es insbesondere in den Städten einige, die vielfältige Wohnformen ermöglichen – von Mehrfamilienhäusern bis zu Kooperationen mit lokalen Genossenschaften. Der bereits erwähnte Champlain Housing Trust in Burlington im US-Bundesstaat Vermont etwa verbindet Mietwohnungen, gewinnbeschränkte Einfamilienhäuser und genossenschaftliches Wohnen mit gewerblichen und sozialen Nutzungen.
Mittlerweile werden CLTs auch als mögliches Eigentumsmodell für die informellen Siedlungen Lateinamerikas diskutiert. Richtungsweisend ist dabei der 2002 in Puerto Rico gegründete Caño Martín Peña CLT, der mit ca. 30.000 Menschen nicht nur der weltweit größte CLTs ist, sondern auch der einzige, der das Modell erfolgreich auf außerhalb des staatlichen Rahmens von den Nutzern selbst errichtete Wohngebäude ohne formale Genehmigung angewandt hat. CLTs sind eine Form der Legalisierung dieser Siedlungen. Als Modell des kollektiven Eigentums an Boden und individuellem Eigentums an den Gebäuden garantieren diese den Bewohnern ein dauerhaftes Bleibe- und Wohnrecht und bieten damit rechtliche Sicherheit, schützen mithilfe des Vorkaufsrecht aber auch vor möglicher Immobilienspekulation und Verdrängung.
ErbbauZ: In Kontinentaleuropa hat man zuerst in Belgien versucht, CLTs zu übernehmen (siehe dazu das anschließende Gespräch mit Joaquin de Santos vom Community Land Trust Brussels). Haben Sie sich daran orientiert oder direkt an der Ursprungsform, oder – anders gefragt: worin liegen die Besonderheiten Ihrer Stadtbodenstiftung, verglichen mit dem amerikanischen Beispiel?
Dr. Horlitz: Aus den USA kam das CLT-Modell Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre nach Großbritannien und fand zunächst vor allem in ländlichen Regionen Anwendung. Mittlerweile gibt es dort mehrere hundert CLTs, im ländlichen wie im städtischen Bereich. Der erste CLT in Kontinentaleuropa wurde 2013 in Brüssel gegründet. Es folgten weitere in Frankreich, Irland und den Niederlanden. Auch die EU ist mittlerweile auf das Community Land Trust Modell aufmerksam geworden und förderte den Aufbau eines europäischen Netzwerks von 2017 bis 2021 im Rahmen ihres transnational angelegten Interreg-Programms. Auch die „EU Urban Agenda on Housing“ führt CLTs als „Best Practice“ an und der Bericht des EU-Parlaments „Housing for All“ fordert die Mitgliedstaaten auf, den Aufbau von CLTs zu unterstützen.
ErbbauZ: Setzen Sie in Berlin diese Expansion fort, oder vertreten Sie einen eigenen Ansatz?
Dr. Horlitz: Die Stadtbodenstiftung ist aus einer Initiative hervorgegangen, in der unterschiedliche Akteure und Interessen zusammenkamen: Menschen aus Nachbarschaftsinitiativen und Hausprojekten, aus der Genossenschaftsarbeit und der alternativen Projektentwicklung, aber auch aus der Forschung und der lokalen Politik. Unser gemeinsames Anliegen war und ist es, einen Gegenpol zur Immobilienspekulation wie zur Praxis der Top-Down-Planung zu setzen, indem Boden dauerhaft dem profitorientierten Markt entzogen und für eine zivilgesellschaftlich gelenkte, gemeinwohlorientierte Bewirtschaftung gesichert wird. Die Stiftung möchte ein Modell zivilgesellschaftlich-solidarischer Stadtentwicklung sein, das unterschiedliche Akteure zusammenbringt und soziale Zielsetzungen langfristig sichert. Die Stadtbodenstiftung wurde im Frühjahr 2021 schließlich im Sinne einer Bürgerstiftung von 150 Menschen und Organisationen gegründet. Das CLT-Modell ist dabei Vorbild und Inspirationsquelle. Wir verstehen uns als Teil der internationalen CLT-Bewegung und stehen mit den anderen Organisationen von Brüssel bis Rio im Austausch.
Der Gründung der Stadtbodenstiftung ging eine intensive Diskussion vor, welche Rechtsform für unser Vorhaben am besten geeignet wäre: Verein, Genossenschaft, Treuhandstiftung oder rechtsfähige Stiftung. Wir haben uns dann für die Rechtsform Stiftung entschieden. Anders als bei Genossenschaften oder Vereinen können bei einer Stiftung die wesentlichen Ziele nicht qua Mehrheitsentscheid verändert werden. So ist die Unverkäuflichkeit von Grund und Boden in der Stiftungssatzung dauerhaft festgeschrieben.
Aber zurück zu ihrer Frage: Wir haben uns bei der Errichtung der Stiftung und der Formulierung der Satzung am idealtypischen Modell des CLT orientiert und weniger an einem konkret existierenden Beispiel. Die Rechtsformen, die CLTs in den verschiedenen Ländern annehmen, sind jeweils sehr spezifisch und von den jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen abhängig. Unser Ziel war, die wesentlichen Charakteristika des Modells in das deutsche Stiftungsrecht zu übersetzen. Wir konnten dabei hinsichtlich der zweigeteilten Eigentumsform an die Struktur anderer Bodenstiftungen wie der Stiftung Edith Maryon oder der Stiftung trias anknüpfen. Die Übersetzung des Mitgliedschaftsmodells und die Möglichkeit der Teilhabe von Menschen aus der Nutzer- und Nachbarschaft sowie von öffentlichen Personen und Stiftern war nicht ganz einfach. Wir haben dafür aber mit dem Stiftungskomitee – einer Art Forum, Mitglieds- oder Generalversammlung – eine wie wir hoffen gute Lösung gefunden. Unser Ziel ist dabei, dass unterschiedliche Interessen in der Stiftung vertreten sind und insbesondere jene eine Stimme haben, die sonst in Stadtentwicklungsfragen meist nicht mitentscheiden können.
ErbbauZ: Hier in Mitteleuropa hat die Zielsetzung, einer bestimmten Gruppe von Menschen preiswerten Wohnraum zu verschaffen, vor allem in Wohnungsbaugenossenschaften Ausdruck gefunden. Was unterscheidet Ihre Stadtbodenstiftung von einer Wohnungsbaugenossenschaft?
Dr. Horlitz: Die Stadtbodenstiftung versteht sich nicht als Alternative oder Konkurrenz zu den Wohnungsbaugenossenschaften. Anders als diese ist die Stiftung primär am Eigentum an Grund und Boden interessiert. Die Gebäude werden im Erbbaurecht vergeben und durch andere bewirtschaftet. Genossenschaften, aber auch selbstverwaltete Hausgemeinschaften oder soziale Träger sind als Erbbaurechtsnehmer wichtige Partner der Stiftung, ohne die das Modell nicht funktionieren würde. Die Stiftung hat dabei auch die Rolle eines verbindenden Elements zwischen den verschiedenen erbbaurechtsnehmenden Projekten und Organisationen inne und bindet diese in eine gemeinsame Struktur ein. Gerade diese über Einzelvorhaben, die gewohnten Kieze und Milieus hinausgehende Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure bildet, neben der marktfernen Bodenpolitik, das wesentliche Potential und den genuinen Beitrag der Stadtbodenstiftung zu einer gemeinwohlorientierten Immobilienentwicklung.
ErbbauZ: Also könnte man sagen, dass Sie die Rolle eines großen Erbbaurechtsgebers anstreben?
Dr. Horlitz: Ja, langfristig ist das unser Ziel. Wir möchten stadtweit tätig sein und möchten nicht nur qualitativ, sondern langfristig auch quantitativ einen wahrnehmbaren Faktor auf dem Wohnungsmarkt darstellen. Das Erbbaurecht ist dabei ein wesentliches strukturelles Element in der Konstruktion der Stadtbodenstiftung. Der Erbbaurechtsvertrag enthält alle notwendigen Regelungen zur dauerhaften Gemeinwohlorientierung der Projekte und gibt den Erbbaurechtsnehmern eigentumsgleiche Rechte. Diese zahlen im Gegenzug einen von der spekulativen Bodenpreisentwicklung abgekoppelten Erbbauzins, über den die Stiftung ihre Arbeit und die Verfolgung der gemeinnützigen Zwecke langfristig finanzieren möchte. Das Erbbaurecht ist zentrales Instrument, da damit die sozialen und inhaltlichen Zielsetzungen der erbbaurechtsnehmenden Projekte personenunabhängig und auf Dauer festgeschrieben werden. So zB spezifische Nutzungsquotierungen wie einen bestimmten Anteil an belegungsgebundenen Wohnungen oder eine besondere Zugänglichkeit für Menschen in prekären Lebenssituationen.
Wichtige Themen in der Ausgestaltung des Erbbaurechts aus der Perspektive der Stadtbodenstiftung sind zudem die grundlegende Sicherung der Gemeinwohlorientierung der Projekte, die Transparenz in der Vergabe von Wohnungen, die Verankerung eines Vorkaufsrechts, falls die Erbbaurechtsnehmer bauliche Strukturen verkaufen wollen, Pflichten zur Instandhaltung der Immobilie sowie die Definition projekt- und nutzungsabhängiger Vorgaben zu ihrer lokalen Verankerung. Letzteres kann in Form von offenen Hoffesten geschehen, kann aber – gerade bei Häusern mit vielen Gewerbeeinheiten – auch bedeuten, dass Menschen aus der Nachbarschaft die Möglichkeit der Mitsprache hinsichtlich der Entwicklung von Nutzungsideen eingeräumt werden soll. Die Kontrolle der Einhaltung der im Erbbaurecht festgeschriebenen Vorgaben obliegt der Stiftung. Die Stiftung als Treuhänderin des Bodens wirkt dabei als dauerhafte Garantin der Gemeinwohlorientierung der Projekte.
ErbbauZ: Welche Teile der Bevölkerung sind Ihre Zielgruppe? Und welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um Mitglied der Stadtbodenstiftung werden zu können?
Dr. Horlitz: Ziel der Stadtbodenstiftung ist es – dem Selbstverständnis der CLTs folgend – die Selbstverwaltungsstrukturen über die unmittelbaren Nutzer hinaus auszuweiten und so den Charakter des Bodens als Gemeingut zu stärken. Die Stiftung hat zu diesem Zweck eine rechtlich-organisatorische Struktur, die unterschiedliche Sichtweisen integriert und zwischen den Interessen der Nutzer, den Zielsetzungen der Stiftung sowie den Bedürfnissen der jeweiligen Nachbarschaften und der breiteren Öffentlichkeit vermittelt. Dies spiegelt sich auch in der Besetzung der Organe. Das Kuratorium ist das zentrale Entscheidungsorgan der Stiftung. Dort sitzen neben Experten auch Vertreter der Nutzerschaft und aus den jeweiligen Nachbarschaften. Es wird zudem ein Stiftungskomitee geben, das für alle an den Projekten Beteiligten, ebenso wie für Nachbarn und Stifter offen ist. Es ist mit einer Mitgliederversammlung vergleichbar und stellt in dieser Art ein Novum in der Stiftungslandschaft dar.
ErbbauZ: Ist unter den heutigen Bedingungen ein Ansatz, wie Sie ihn vertreten, überhaupt noch in einem einigermaßen überschaubaren Zeitraum zu verwirklichen?
Dr. Horlitz: Sicherlich wäre die Stiftung vor 20 oder 30 Jahren leichter an den Start gegangen. Doch auch jetzt sehen wir noch viele Möglichkeiten. Der Kauf auf dem Markt ist nur eine davon. Wir zielen auch auf sozial orientierte Eigentümer, die ihre Immobilien langfristig in guten Händen wissen möchten oder auf bestehende Hausprojekte, die der Stiftung den Boden schenken, um mittels des Erbbaurechtsvertrags ihre eigenen Ziele dauerhaft zu sichern. Derzeit sind wir mit Eigentümern von drei Mehrfamilienhäusern in Verhandlung und planen, die Immobilien zusammen mit Genossenschaften zu erwerben. In zwei der drei Fälle sind die Eigentümer auf uns zugekommen mit dem Wunsch, die Häuser mit ihren günstigen Mieten dauerhaft zu sichern. Wir denken, dass hier gerade die lokale Ausrichtung der Stiftung Potential hat. Immerhin sind etwa 20 % der Immobilien in Berlin im kleinteiligen Privateigentum. In Kooperation mit dem Verein „Wohnraum für Alle“ wollen wir zudem ein Modell erarbeiten, um Eigentumswohnungen wieder in Mietwohnungen umzuwandeln. Wir versuchen, verschiedene Wege zu gehen, um an Boden zu kommen. Letztes Jahr haben wir beispielsweise zusammen mit zwei Künstlerinnen das Projekt „Gemeingut statt Leerstand“ durchgeführt. Wir haben leerstehende Immobilien in allen Bezirken aufgespürt und sind mit Menschen aus den Nachbarschaften vor Ort ins Gespräch gekommen, um ihre Geschichten, aber auch ihre Nutzungsideen zu erfahren. Wir verfolgen diese Fälle und versuchen, daraus Projekte zu entwickeln.
ErbbauZ: Wie sehen Sie denn allgemein Ihre Rolle in der Berliner Liegenschaftspolitik?
Dr. Horlitz: Die Stadtbodenstiftung wirkt auf drei Ebenen: erstens ganz konkret auf Ebene der umgesetzten Projekte, zweitens als Modell mit Pilotcharakter, das in anderen Kontexten Nachahmung finden kann und drittens als „Proof of Concept“, das stadtpolitische Forderungen bestärken und Impulse für die kommunale Politik liefern kann, beispielsweise für die Einrichtung kommunaler Bodenfonds oder die Möglichkeiten von Mitbestimmungsrechten über die Nutzung von Boden und Grundstücken. Die Stadtbodenstiftung versteht sich dabei nicht als Konkurrenz zu derzeitigen Rekommunalisierungsbestrebungen. So sollen öffentliche Grundstücke im Regelfall auch nicht in die Stiftung überführt werden. Die Stadtbodenstiftung zielt vielmehr darauf, Boden und Immobilien der Spekulation zu entziehen, die sich in privater Hand befinden.
Wie andere nicht gewinnorientierte Eigentumsmodelle muss auch die Stadtbodenstiftung unter den gegenwärtigen Bedingungen des Wirtschaftens funktionieren. Sie weist aber gleichzeitig darüber hinaus. Auch wenn alternative Eigentumsmodelle derzeit quantitativ nicht in der Lage sind, die Bodenfrage zu lösen, überschreitet ihre Wirkung den rein pragmatischen Wert und geht über das einzelne Projekt hinaus. Sie erbringen gewissermaßen den Beweis dafür, dass marktfernes Handeln möglich ist, und zeigen Mechanismen der Bereitstellung, Sicherung und demokratischen Verwaltung von Boden auf, die sich nicht an Profiterwartungen, sondern an den Bedürfnissen von Nutzer- und Nachbarschaft orientieren. Sie unterbrechen damit nicht nur den Spekulationskreislauf und schaffen Beispiele realer Alternativen, sondern helfen auch, andere Formen des Wissens und einen Diskurs zu generieren, der im konkreten Raum und dessen Problematik verankert ist.
ErbbauZ: Was müsste Ihres Erachtens mit Blick auf die Bodenpreisentwicklung politisch getan werden?
Dr. Horlitz: Die Spekulation mit Grund und Boden treibt nicht nur die Wohnkosten in die Höhe, sie ist auch Motor der insgesamt sehr hohen Vermögensungleichheit in Deutschland.
Aus der Praxis der stadtpolitisch Aktiven können und müssen über die einzelnen Projekte hinausgehende politische Forderungen entwickelt werden. Das ist seit einigen Jahren auch durchaus der Fall. Alle Impulse, die die Bodenfrage wieder auf die politische Tagesordnung gestellt haben, kamen aus der Zivilgesellschaft: Sei es der Runde Tisch zur Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik in Berlin, die von der Stiftung trias angestoßene Schwerter Erklärung oder der Münchner Aufruf für eine andere Bodenpolitik.
Dabei ist die Frage, wie der Bodenwert berechnet wird, einer der zentralen Punkte. Es gibt viele Überlegungen, wie die Dominanz der Bodenrichtwerte (die ja derzeit durch die spekulativen Entwicklungen in absurde Höhen getrieben werden) gemildert werden kann, beispielsweise durch Preislimitierungen oder durch Wertermittlungsverfahren, die sich an leistbaren Miethöhen orientieren. Hier wäre der Bund gefordert, eine gesetzliche Erweiterung der Verkehrswertbestimmung zur Berücksichtigung von gemeinwohlorientierten Nutzungen bei der Preisbestimmung („sozialorientierter Ertragswert“) einzuführen. Aber auch die Einführung der Neuen Wohngemeinnützigkeit zur verbindlichen und dauerhaften Sicherung von leistbarem Wohnraum durch gemeinnützige Träger sollte vorangebracht werden. Auf kommunaler Ebene sollten Fördermittel rechtsformunabhängig vergeben werden und sich an stadt- und wohnungspolitischen Zielen und nicht an der jeweiligen Unternehmens- oder Rechtsform orientieren. Das ist in Berlin bisher nicht der Fall. Hamburg ist da, soweit ich weiß, weiter.
Wir selber, als neugegründete Organisation, freuen uns über jede Form der finanziellen Unterstützung zur Förderung unserer gemeinnützigen Arbeit und des Bodenerwerbs.
Den größten Gestaltungsspielraum geben uns Schenkungen von Grundstücken, auch von bebauten Grundstücken. Wir suchen zudem bestehende Berliner Hausprojekte, die über eine Bodenschenkung und den Erbbaurechtsvertrag ihre eigenen Ziele dauerhaft sichern möchten und Eigentümer, die ihre in Berlin und Umgebung liegende Immobilie dauerhaft in guten Händen wissen möchten.
ErbbauZ: Frau Dr. Horlitz, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch!
Sabine Horlitz ist Architektin und Stadtforscherin mit den Schwerpunkten Wohnungsbau und nicht spekulative Eigentumsmodelle. Sie hat über den US-amerikanischen Sozialwohnungskomplex Pruitt-Igoe promoviert und forschte u.a. zu Community Land Trusts und weiteren Modellen kollektiven Bodeneigentums. Sie ist Mitbegründerin der vom Community Land Trust Modell inspirierten Berliner Stadtbodenstiftung und Mitglied des Stiftungsvorstands. Zusammen mit Oliver Clemens gründete sie das Architekturbüro Studio CHplus, das ausschließlich für nicht gewinnorientierte Bauherren, für Mieterprojekte und gemeinwohlorientierte Träger arbeitet.
Erschienen in: ErbbauZ 2023/3