Prof. Dr. Karl Winkler „Klauseln, die praktisch in jedem Erbbaurechtsvertrag enthalten sind, sollten zum gesetzlichen Inhalt mit Änderungsvorbehalt gemacht werden“

Winkler

Prof. Winkler gehört zu den wenigen Fachleuten, die sich kontinuierlich seit Jahrzehnten publizierend (als Autor des „Handbuchs für Erbbaurecht“ und im Münchner Vertragshandbuch) und lehrend mit dem Erbbaurecht beschäftigen. Er stellt einige der wesentlichen gesetzgeberischen Änderungen im Erbbaurechtsbereich vor und plädiert u. a. dafür, Erbbaurechtsverträge zu entlasten durch die Aufnahme regelmäßiger Vertragsklauseln in das ErbbauRG.

Herr Prof. Winkler, Sie haben in München Jura studiert und beschäftigen sich seit fünfeinhalb Jahrzehnten mit dem Erbbaurecht. Woher kommtIhr Interesse an diesem Rechtsgebiet?

Ich bin in München aufgewachsen und habe dort neun Jahre das humanistische Wilhelms-Gymnasium besucht. Nach dem Studium an der LMU habe ich dort mit dem Thema „Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften“ promoviert. Nach dem Referendariat in München und einem Jahr als Gastreferendar und Assistent an der FU in Berlin und dem Assessorexamen 1967 in München kam ich als Notarassessor das erste Mal näher mit dem Erbbaurecht in Berührung. Mein Ausbildungsnotar betreute seinerzeit den Euro-Industriepark, ein großes Industriegelände im Münchner Norden, das die Deutsche Bahn im Erbbaurecht mit Gleisanschluss an Firmen aus ganz Deutschland vergeben hatte. So kam es, dass das Erbbaurecht im Rahmen meiner Ausbildung zum Notar eine erhebliche Rolle gespielt hat. Da ich später Nachfolger meines Ausbildungsnotars geworden bin, hatte ich auch in meiner Notariatspraxis weiter damit zu tun.

Mitte der achtziger Jahre schlug Ihnen der Verlag C. H.Beck vor, ein damals neuartiges, erstes Handbuch zum Erbbaurecht zu schreiben.

Ja, auf Anregung des Verlags C. H.Beck haben mein Münchener Notarkollege und Schulfreund Helmut Frhr. v. Oefele und ich ein Handbuch verfasst, das versucht, den Regelungsspielraum des Erbbaurechts darzustellen, und dessen erste Auflage im Jahr 1987 erschienen ist. Dabei haben wir besonderen Wert auf einen ausführlichen Formularteil gelegt. Nach dem Ausscheiden des Mitbegründers v. Oefele mit der 6. Auflage hat Notar Dr. Schlögel dessen Teil übernommen. Die 8. Auflage ist für Ende 2024 geplant. Darüber hinaus enthalten sämtliche Kommentare zum BGB auch Ausführungen zum Erbbaurecht. Besonders hervorzuheben ist die vorzügliche Darstellung im Staudinger (Stand 2021) durch meinen Notarkollegen und Freund Manfred Rapp, der leider im Jahr 2022 verstorben ist. Durch Nutzung der inzwischen vorhandenen Online – Kommentierungen kann der Rechts- und Meinungsstand besonders zeitnah abgefragt werden. An Spezialkommentaren gibt es vor allem die Werke von Ingenstau/Hustedt (11. Aufl. 2018) und neuerdings von Nagel aus dem Jahr 2022.

Worin liegen Ihres Erachtens die zentrale Herausforderung bei der Gesetzeskommentierung oder auch der Handbucherstellung? Und haben Sie bestimmte Erwerber im Blick, für die Sie vor allem schreiben?

Aufgabe eines Handbuchs ist es, mehr noch als bei Kommentaren, Sinn und Zweck eines Rechtsinstituts und seiner Teilbereiche sowie langfristige Entwicklungen aufzuzeigen. Während der Kommentar die einzelne Bestimmung beleuchtet, soll ein Handbuch den Gesamtzusammenhang darstellen, wie er sich aufgrund von Gesetzesänderungen, grundlegenden Gerichtsentscheidungen und wirtschaftlichen Anforderungen entwickelt. Ein Handbuch will eine Hilfe für den Praktiker sein, sowohl für die oft schwierige, aber wegen der langen Dauer auch besonders wichtige Vertragsgestaltung, als auch zur Lösung der während des Erbbaurechts auftretenden Probleme. Die Form des Handbuchs ermöglicht eine systematische Darstellung, sodass ohne Rücksicht auf die gesetzliche Gliederung die einzelnen Themenbereiche zusammengefasst und einheitlich erläutert werden können. So werden z. B. die besonderen Gestaltungsformen, wie Eigentümer-, Unter-, Gesamt- und Wohnungserbbaurecht jeweils selbstständig von ihrer Zulässigkeit über den Anwendungsbereich bis hin zu ihren Rechtsfolgen behandelt. Ein anschauliches Beispiel ist auch die Einführung der Möglichkeit, den Erbbauzins versteigerungsfest zu vereinbaren (§ 9 Abs. 3 ErbbauRG): Dadurch wurde nicht nur die eine Bestimmung geändert, sondern das gesamte Sicherungssystem ist neu gewichtet worden, was für die Vertragsgestaltung entscheidend ist. Gleichzeitig wird ein Handbuch versuchen, im Interesse der Praxis sowohl Lösungsmöglichkeiten für strittige Probleme aufzuzeigen, vor allem für die aktuellen und wirtschaftlich wichtigen, als auch noch kaum erörterte Fragen zu klären, zB die Behandlung existenznotwendiger Dienstbarkeiten. Zur umfassenden Information des Lesers werden auch die kosten- und steuerrechtlichen Wirkungen mit behandelt. Die Darstellung des Handbuchs, ergänzt durch Beispiele und die Mustersammlung, möchte dem Praktiker die Anwendung dieses Rechtsinstituts erleichtern und ihm gleichzeitig helfen, die vielseitigen Möglichkeiten des Erbbaurechts auszuschöpfen.

Wenn Sie sich die Entwicklung des deutschen Erbbaurechts in den letzten fünfzig Jahren insgesamt vor Augen führen: wie würden Sie diese Entwicklung zusammenfassend kennzeichnen?

Die Vielfalt der Literatur zeigt, welchen ungeahnten Aufschwung das Erbbaurecht in seiner praktischen Ausformung genommen hat. So greift zB die Siedlungspolitik von Staat und Kommunen häufig auf dieses Rechtsinstitut zurück, ebenso wie kirchliche Institutionen und Stiftungen. Auch im gewerblichen Bereich ist die Bedeutung des Erbbaurechts gewachsen. Das Erbbaurecht hat sich durch seine vielseitige Verwendbarkeit einen weiten Anwendungsbereich für vate, gewerbliche, industrielle und öffentliche Zwecke erschlossen. Es wird aus den verschiedensten Gründen bestellt, von bodenpolitischen über soziale, geschäftliche und steuerliche bis hin zu baurechtlichen Motiven. Erst vor kurzem hat der BGH mit Urteil v. 8.2.2019 (NJW 2019, 2016 Rn. 21) die besonderen Einsatzmöglichkeiten des Erbbaurechts herausgestellt und betont, dass es – im Gegensatz zum Verkauf von Baugrundstücken – auch das geeignete Instrument ist, öffentliche Zwecke mit dauerhaften Benutzungsbeschränkungen zu verfolgen.

Welche erbbaurechtsbezogenen Aktivitäten des Gesetzgebers in den vergangenen Jahrzehnten halten Sie für wesentlich?

Vielfältige Änderungen haben das Erbbaurecht geprägt, von denen besonders das Sachenrechtsänderungsgesetz v. 21.9. 1994 (BGBl. I. S. 2457, 2489) hervorzuheben ist, nach dem eine Wertsicherung der Reallast und ihr Bestehenbleiben im Fall der Zwangsversteigerung des Erbbaurechts als Inhalt des Erbbauzinses vereinbart werden kann (§ 9 Abs. 3 ErbbauRG); damit wurde einer von mir bereits im Jahre 1970 (DNotZ 1970, 390) erhobenen Forderung nach einer Änderung der unbefriedigenden Rechtslage entsprochen. Da dies für den Eigentümer von entscheidender Bedeutung sein kann, möchte ich die Rechtslage ohne eine solche Vereinbarung eines versteigerungsfesten Erbbauzinses kurz darstellen: Räumt der Grundstückseigentümer dem Grundpfandrechtsgläubiger des Erbbauberechtigten den Vorrang ein, so geht der Erbbauzins den Rechten des betreibenden Gläubigers nach und fällt nicht in das geringste Gebot (§ 44 Abs.1 ZVG), sondern erlischt nach § 91 ZVG, so dass der Ersteher insoweit lastenfrei erwirbt. Der Ersteher tritt nur in den nach § 2 ErbbauRG auch gegen Sonderrechtsnachfolger wirkenden Erbbaurechtsinhalt ein, zu dem jedoch der Erbbauzins gerade nicht gehört, nicht dagegen in schuldrechtliche Vereinbarungen, soweit diese nicht wiederum dinglich gesichert sind. Dies kann wie in einem vom BGH mit Urteil v. 25.9.1981 entschiedenen Fall dazu führen, dass der Erbbauzins an dem auf 99 Jahre bestellten Erbbaurecht bereits nach vier (!) Jahren erlischt, so dass der Eigentümer die restlichen 95 (!) Jahre keinen Erbbauzins mehr erhält (BGHZ 81, 358). Ähnlich bedeutsam war die Einfügung des § 9a ErbbauRG durch Gesetz v. 8.1.1974 (BGBl. I, S.41) zum Schutz des Erbbauberechtigten gegen überhöhte Erbbauzinssteigerungen, wenn das aufgrund des Erbbaurechts errichtete Bauwerk Wohnzwecken dient. Auch zahlreiche sonstige Gesetzesreformen haben sich auf das Erbbaurecht ausgewirkt, allen voran die Schuldrechtsreform, die Aufhebung des alten Preisklauselgesetzes und der Preisklauselverordnung durch das Preisklauselgesetz, die Änderungen des WEG, insbesondere das am 1.12.2020 in Kraft getretene Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz, bis hin zu den zahlreichen Änderungen des Steuerrechts. Der Erkenntnis, dass es sich beim Erbbaurecht um das vielseitigste Rechtsinstitut des Sachenrechts handelt, hat der Gesetzgeber auch Rechnung getragen durch die Änderung der Gesetzesbezeichnung „Erbbaurechtsverordnung“ in „Erbbaurechtsgesetz“.

Und welche Rolle hat Ihres Erachtens die Rechtsprechung bei der Fortentwicklung des Erbbaurechts gespielt?

Die lebhafte Rechtsprechung, etwa zum Verwendungszweck des Bauwerks, zur Rechtsnatur des Zustimmungsvorbehalts des Grundstückseigentümers bei Verfügungen des Erbbauberechtigten über das Erbbaurecht, zur Widerruflichkeit dieser Zustimmung oder zum Gleichlauf des rechtlichen Schicksals von schuldrechtlichem Kausalgeschäft und dinglichem Verfügungsgeschäft in diesem Zusammenhang, zeigt die Bedeutung des Erbbaurechts, die sich auch in einer zunehmenden Zahl von nach 99 Jahren auslaufenden Rechten manifestiert. Ganz aktuell ist ein Urteil des BGH v. 19.1.2024 (Az. V ZR 191/22) zum Ausschluss der Vergütung beim Heimfall gem. § 32 Abs. 1 S. 2 ErbbauRG. Eine Gemeinde hatte ein Erbbaurecht für einen Verein zum Bau eines Kulturhauses und einer Moschee bestellt, die aber nicht rechtzeitig fertiggestellt wurden. Das OLG Stuttgart hatte der Gemeinde als öffentlicher Körperschaft den Ausschluss untersagt, wenn der Erbbaurechtsvertrag gegen das Gebot angemessener Vertragsgestaltung (§ 11 Abs. 2 S. 1 BauGB) verstößt und zu einer unzumutbaren Belastung für den Vertragspartner der öffentlichen Körperschaft führt; das sei dann der Fall, wenn der öffentlichen Körperschaft bei Ausübung des Heimfallrechts eine im Rahmen des Erbbaurechts vom Erbbauberechtigten bestimmungsgemäß geschaffene erhebliche Werterhöhung entschädigungslos zugutekäme. Dieser pauschale Ansatz wurde in der Literatur weitgehend kritisiert (vgl. Nagel ErbbauZ 2022, 181; Schlögel MittBayNot 2023, 525; Grziwotz NotBZ 2023 118). Der BGH schließt sich dem an und sieht den nach § 32 ErbbauRG möglichen Ausschluss vor allem deswegen als sachgerecht an und nicht als Verstoß gegen das baurechtliche Angemessenheitsgebot, weil der Heimfall nach den vertraglichen Regelungen nur dann eintritt, wenn derErbbauberechtigte schuldhaft gegen seine vertraglichen Pflichten verstößt; die Rechtsfolge einer Rückforderung des Erbbaurechts, ohne dafür eine Entschädigung zu erhalten, hätte der Verein somit selbst verhindern können. Der BGH betont aber, dass Kommunen unter sorgfältiger Prüfung der Verhältnismäßigkeit private Erbbauberechtigte für Verstöße nicht übermäßig sanktionieren dürften, wenn sich der vergütungslose Heimfall dann der Sache nach als unangemessene Vertragsstrafe darstellen würde. Aus der notariellen Gestaltungs- und Beratungspraxis (§ 17 BeurkG) sei ein Urteil des BGH v. 2.6.2005 (DNotZ 2005,847) besonders erwähnt, wonach der Notar verpflichtet ist, den Erwerber eines Erbbaurechts darauf hinzuweisen, dass der Grundstückseigentümer seine Zustimmung zur Veräußerung des Erbbaurechts erteilen, jedoch zur Belastung verweigern kann, wenn nach § 5 ErbbauRG die Zustimmungsbedürftigkeit dieser Verfügungen Inhalt des Erbbaurechts ist. Muss der Notar, zB aufgrund einer in dem Kaufvertrag enthaltenen Belastungsvollmacht, damit rechnen, dass der Erwerber das Erbbaurecht zur Finanzierung des Kaufpreises belasten will, ist er verpflichtet, den Erwerber über die Gefahren einer „gespaltenen“ Eigentümerzustimmung zu belehren und Möglichkeiten aufzuzeigen, diesen entgegenzuwirken. Die fehlende Zustimmung zur Belastung des Erbbaurechts wirkt sich nämlich nicht in der Weise aus, dass damit auch der Kaufvertrag schwebend unwirksam ist.

Könnten Sie abschließend ein paar Worte sagen zur Bedeutung des Erbbaurechts insgesamt, wie sie sich Ihnen aus heutiger Sicht darstellt?

Das Erbbaurecht hat seit Inkrafttreten der seinerzeitigen ErbbauVO im Jahr 1919 eine erhebliche praktische Bedeutung gewonnen und sich Anwendungsbereiche geschaffen, die weit über die ursprünglichen Zielsetzungen hinausgehen. Dennoch hat es noch nicht die Aufnahme gefunden, die seiner Bedeutung und seinen konstruktiven Möglichkeiten zukommt. Einer der Gründe dafür ist, dass das Erbbaurecht ein besonders kompliziertes Rechtsinstitut ist, da es zwischen Grundstückseigentum und beschränkten dinglichen Rechten angesiedelt ist; es enthält deswegen Elemente beider Seiten sowie eine Vielzahl von nur ihm eigenen Konstruktionen und eröffnet einen breiten Regelungsspielraum, wie er sonst dem Sachenrecht fremd ist. Dieser muss durch die vertragliche Gestaltung ausgefüllt werden, da das Gesetz die Dauerrechtsbeziehung nur unvollständig normiert hat. Auch nach über 100 Jahren kann man sagen, dass sich das Erbbaurechtsgesetz mit seiner Auslegung durch die obergerichtlichen Entscheidungen insgesamt bewährt hat. Manche Vereinfachung würde aber seine Gestaltung und Akzeptanz erleichtern, etwa bei Klauseln, die praktisch in jedem Erbbaurechtsvertrag enthalten sind und diesen unnötig aufblähen. Sie sollten daher zum gesetzlichen Inhalt mit Änderungsvorbehalt gemacht werden: Dies sollte für die Kostenregelung (§ 2 Nr. 3), für die Verkehrssicherungspflicht, für Altlasten, für den Heimfall bei einem Zahlungsverzug mit dem Erbbauzins iSv § 9 Abs. 4 und für bauliche Änderungen sowie Nutzungsänderungen ohne Zustimmung des Grundstückseigentümers erfolgen. Des Weiteren sollte § 2 um die Möglichkeit der Vereinbarung einer Abbruchsverpflichtung bei Zeitablauf ergänzt werden. Da das Erneuerungsrecht (§ 2 Nr. 6) leicht umgangen werden kann, sollte es durch ein echtes Verlängerungsrecht ersetzt werden. Dadurch könnten Erbbaurechtsverträge kürzer und verständlicher werden und den Beteiligten die Scheu vor langen und komplizierten Verträgen genommen werden.

Herr Prof. Winkler, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Prof. Dr. Karl Winkler, Jahrgang 1941, studierte Rechtswissenschaftenan der LMU in München und war von 1972 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2011 Notar, davon seit 1982 in München. Einen Großteil seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hat er in den Dienst der freiwilligen Gerichtsbarkeit gestellt und durch seine Mitwirkung in der Kommission für das Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Beginn an die Reform dieses Verfahrenszweigs vorbereitet und begleitet. Er war u. a. langjähriger Mitherausgeber des FGG-Kommentars von „Keidel“ und ist seit über 50 Jahren Alleinbearbeiter der Kommentierung zum Beurkundungsrecht (21. Aufl. 2023). Bis zur 8. Auflage war er Mitautor des FGG-Kommentars „Bumiller/Winkler“. Daneben ist er auch mit rechtspolitischen Vorschlägen hervorgetreten. So beruht die Reform des Erbbauzinses letztlich auf seinen Ideen. Winkler ist Honorarprofessor an der LMU in München.

Erschienen in: ErbbauZ 2024/2

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