Die Zeit, in der immer mehr Erbbaurechte auslaufen, hat begonnen. In seinem Aufsatz in diesem Heft beschreibt Dr. Steffen Ott die rechtlichen Schwierigkeiten bei der Ermittlung einer voraussichtlichen Standdauer des Bauwerks. Dr. Matthias Nagel, Geschäftsführer des Deutschen Erbbaurechtsverbandes e.V. und Mitherausgeber der ErbbauZ, beleuchtet das Thema aus Sicht der Praxis.
ErbbauZ: Herr Dr. Nagel, wieso gibt es so wenig Literatur und auch so wenig Rechtsprechung zur Ermittlung der voraussichtlichen Standdauer eines Bauwerks? Das ist doch ein wirtschaftlich bedeutsamer Aspekt, der sicher oft zu Meinungsverschiedenheiten führt …
Nagel: Das liegt sicherlich daran, dass die Frage erst beim Zeitablauf von Erbbaurechten eine Rolle spielt und viele Verträge erst in der Zukunft insbesondere ab dem Jahr 2030 auslaufen. Zudem ist die Option für den Grundstückseigentümer selten attraktiv, da er an nachteiligen Vertragskonditionen nichts ändern kann, sodass in der Regel ein neuer Vertrag mit einer Laufzeit verhandelt wird und von der Option des § 27 Abs. 3 ErbbauRG kein Gebrauch gemacht wird.
ErbbauZ: Weshalb kommt es – gerade bei gewerblichen Immobilien – zu Begutachtungsschwierigkeiten bei der Bestimmung der voraussichtlichen Standdauer des Bauwerks?
Nagel: Standdauer und wirtschaftliche Nutzung von Gewerbeobjekten sind oft sehr unterschiedlich. Denn natürlich kann ein Supermarktgebäude noch genutzt werden, aber vielleicht gerade nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll als Supermarkt. In diesen Fällen ist die Standdauer tendenziell kein gutes Bewertungsinstrument, denn der eigentliche Nutzen des gewerblichen Erbbaurechts kann – anders als beim Wohnen – entfallen sein.
ErbbauZ: Was ist die Konsequenz?
Nagel: Im besten Fall wird im gewerblichen Erbbaurechtsvertrag neben der Standdauer auch die wirtschaftliche Nutzungsfähigkeit als zusätzliches Kriterium genannt. Ob das für jeden Grundstückseigentümer akzeptabel ist, wäre dann im Einzelfall zu bewerten und es käme auch auf den gewerblichen Zweck als solchen an.
ErbbauZ: Unter welchen Umständen kann in dem Verlangen des Erbbauberechtigten nach einer Entschädigung eine unzulässige Rechtsausübung gesehen werden?
Nagel: Zunächst ist ja erstmal ein Angebot des Grundstückseigentümers nach § 27 Abs. 3 ErbbauRG erforderlich. Wenn dann der Erbbauberechtigte auf das Angebot des Grundstückseigentümers nicht reagiert oder das Angebot ohne Begründung ablehnt und sich sodann insbesondere vor Gericht darauf beruft, dass die voraussichtliche Standdauer des Bauwerks vom Grundstückseigentümer unrichtig eingeschätzt worden sei, kann dies sicherlich als unzulässige Rechtsausübung des Erbbaurechtsnehmers angesehen werden.
ErbbauZ: Welchen Rat geben Sie Erbbaurechtsgebern in einer solchen Situation?
Nagel: In der Praxis war ich mit einer solchen Situation noch nicht konfrontiert. Ich halte den Rückzug auf § 27 Abs. 3 ErbbauRG auch eher für ein sinnvolles, aber selten wirtschaftliches Schutzrecht für den Grundstückseigentümer. Er wird es nur in besonderen Fällen anwenden wollen.
ErbbauZ: Vielen Dank für das Interview!
Dr. Matthias Nagel ist in Hannover geboren und studierte Rechtswissenschaften an der Georg-August-Universität in Göttingen. Nach dem Referendariat war er einige Jahre als Rechtsanwalt tätig. Seit dem Jahr 2000 arbeitet er in der Klosterkammer Hannover, zunächst als Justitiar, seit 2007 als Abteilungsleiter Liegenschaften. In seiner Abteilung wird der Grundbesitz, außer Forst, von vier historisch öffentlich-rechtlichen Stiftungen mit ca. 17.000 Erbbaurechten und ca. 12.000 ha landwirtschaftlichen Flächen verwaltet. Seit 2009 ist er außerdem Geschäftsführer der LIEMAK IT GmbH, einem Tochterunternehmen einer Stiftung, die von der Klosterkammer Hannover verwaltet wird. Die LIEMAK IT GmbH bietet neben IT-Dienstleistungen auch eine eigene Software zur Verwaltung von Erbbaurechten an und verwaltet Erbbaurechte für öffentliche und private Erbbaurechtsausgeber. Seit der Gründung im Jahr 2013 ist Herr Dr. Nagel Geschäftsführer des Deutschen Erbbaurechtsverbandes e.V. Zudem hält Herr Dr. Nagel Vorträge und Seminare zum Erbbaurecht und ist Mitherausgeber der Zeitschrift für das Erbbaurecht (ErbbauZ), die seit 2020 im C.H.Beck Verlag erscheint.
Erschienenen in: ErbbauZ 2021/6